M wie MKruppe und Mbappé (460)

 

Dem Winter wird weiterhin die Stirn geboten. Draußen ist Wetter, so sexy wie Puddinghaut. Drinnen ist’s schöner, hier lässt es sich beim Schnapse auftauen. Steht doch die Eröffnung der 20. Doctors-Festspielsaison unmittelbar bevor. Und wo? Natürlich in der Stallwache, in Leipzig-Plagwitz. Wo die Menschen, behütet von beuligen Dächern, ihrer Tage fristen. Wo die Gürtellinie unterm Hals beginnt. Wo ein Stadtteil graubunte Deko für immatrikulierte Kaffeetrinker mit Blattsalat im Beutel ist.

 

Angekündigt ist der Abend als Bulbash Masters Special. Das hat einen Grund. Es gibt einen Stargast, einen Pratajev-Lesenden mit Vortrag und eigener Bühne. Nicht Mbappé, Sohn des Wilfried Mbappé, französischer Fußballgott, nein viel besser: MKruppe. Man spricht es ohne Punkt und Bindestrich aus. Aber mit viel Ausrufezeichen.

 

Mittlerweile hat Doc Pichelstein das neue Toursportauto strafzettelfrei geparkt, Pizzen mit je sechs sagenhaften Salamischeiben sind bestellt, die Bühnenecke ist beräumt.

 

 

 

Da neulich böse eingebrochen wurde, muss improvisiert werden. Das Diebespack klaute u.a. ein paar Boxen. Ohne ans Mischpult und an die Endstufe zu denken. Impressario Frank The Tank lieh sich darob ergänzendes Equipment aus, das erst einmal aus der Not heraus gekoppelt werden will. MKruppe, MMakarios, MPichelstein geben ihr Bestes. Ersterer ist es schließlich, der den MGyver-Pott für maximales Gelingen und Erfindungsreichtum bekommt. MFrankTheTank klatscht (beim Befüllen diverser Wodkabretter) in die Hände. Es folgt ein Soundcheck, der sich nach wenigen Minuten hübsch wie ein Kugelfisch aufbläst. Alles paletti. Ran an die Pizzen, an die Bar, wo MSchmo bereits in schöner Regelmäßigkeit das maximale Durchdrehmoment in Sachen Cocktails auslebt.

 

 

 

Fehlt nur noch einer. Jasper Fryth, musikalischer wie figürlicher Experimentier-Direktor in Sachen Öl, Acryl, Leinwand. Seit der letzten Doctors-Platte ist er aus dem Pratajev-Universum nicht mehr wegzudenken. Was bietet sich heute an? Eine Bilderauktion, moderiert von MKruppe, was Jasper Fryth zu MFryth kulminieren lässt. Aber nur noch in diesem Absatz, dann heißen alle wieder, wie sie heißen. Außer MKruppe und Mbappé.

 

 

 

Wo ein Wille ist, darf kein Sofa sein. Die Stallwache ist propper gefüllt, was an der Schnapsbar gut und lecker aussieht, bleibt nicht lange unprobiert. Auf geht’s; Doc Makarios salbt die Gemüter mit Wortspenden, Saitenkrieger Pichelstein zählt 1,2,3,4: „Da hält der Wind den Atem an.“ Anschließend: Großer Jubel, Übergabe des Staffelstabs an MKruppe. Das Leben und Wirken Pratajevs als Hilfszahnart, Hobby-Orthopäde und großer wodkatrinkender (statt wasserpredigender) Poet steht im Fokus. MKruppe erfüllt den Job mit Leidenschaft, brilliert in Lyrik und Prosa, die Stallwache kocht.

 

Schon fliegt der Staffelstab zurück in den Musikbereich, die Docs nehmen ihn dankbar auf. Es geht ans Eingemachte, um die Hits aus dem Miloproschenskoje der 50-60er-Jahre, aufgepeppt u.a. mit der Bulbash-Hymne. Tief schürft fortan wieder MKruppe in Pratajevs Schatzkiste - und so geht es eine Stunde lang hin und her, bis eine große Pausen-Durstwolke zur Schnapsbar zwingt.

 

 

 

Im zweiten Block gibt’s die pratajevsche Jasper Fryth-Bilderauktion. In schöner Regelmäßigkeit hagelt es Höchstgebote, die Docs präsentieren, MKruppe schwingt den Auktionshammer und der Zeitstau der Ereignisse führt am Ende direkt zur „Harten Wirtin,“ zum gefeierten Fetischblock, in dem Pichelsteins Gitarrenplektrum restlos pulverisiert wird.

 

 

 

Bis zum Aufbäumen vorm Schlussakkord, einem Innehalten und Abgang, ist es letzthin nicht mehr weit. Reichlich verschwitzt teilen sich die Docs das Bühnenhandtuch, während MKruppe den Elektrolythaushalt mit emsiger Zufuhr von Gerstensaft reguliert. Im Zugabeblock erklingt (wie immer in der Stallwache) „Der Raucher von Bolwerkow“, wird die „Alte Henne“ verdroschen und vieles mehr. In den Ohren bleibt zum Schluss ein Walzer, ein Schnapsbar-Walzer, Doctor Pichelstein ist schließlich auch Walzerkönig.

 

Und so walzt der Abend gemütlich vor sich hin - mit großem Dank ans Publikum. Platten, Plakate werden signiert, die mitgeführten Ausgaben der Pratajev-Bibliothek sind rasch ausverkauft. So wünscht man sich das, seufzt längerfristig glücklich vor sich hin, und lebt die innere Katze aus. Erst streunen, dann pennen. Lange. In einer Welt ohne Uhren mit immer vollem Napf.     

 

 

Alle Bilder: Danke an der.pasemann

 

Die Realität ist kein Blockbuster (459)

 

Kai hat Geburtstag. Dirk hatte Geburtstag. Das ruft nach einer Feier an einem wohlbekannten Ort, an dem weiland Tischlerei-Geschichten geschrieben wurden, die die Städtechronik Frankenbergs zum Erröten und Erstaunen bringen könnte. Gerne nachzulesen in den Tourbüchern der Russian Docs.    

 

Beide Probanden ahnen von nichts, wurden tagsüber mit fadenscheinigen Versprechen auf die Touristik & Caravaning-Messe nach Leipzig gelockt („kost nix, alles umsonst“), um abends wie zwei entrückte Sons Of Ironists im Waldorf- und Statler-Style von einer Bande liebster Menschen durchaus wundertütig überrascht zu werden. Krachend. Zum 100. Gesamtjahrestag. Raus aus dem gut geölten Hamsterrad, rein ins Vergnügen!

 

 

 

Belegt mit einem Schweigegelübte reisen die Doc spät nachmittags an; gegen 18:30 ist mit dem Eintreffen der Messebesucher zu rechnen.

 

Während sich die Tischlerei in einen buffetbestückten Partysaal samt Tanzfläche, Bühne und Schnapsbar verwandelt, steht Makarios im Staub, um ein allerletztes Boxenkabel zu aktvieren, buttert Pichelstein den Soundcheck an. Noch ein Kaltgetränk für drinnen, einen Kaffee für draußen, hält bei strengen Minusgraden warm.

 

Eben noch war idyllischer Herbst mit lockerem Novemberblues, schon knallt die erste Russenpeitsche übers Land, stehen Frostituierte am Erzgebirgsrand. Der Winter macht ordentlich Werbung für sich, doch wollen wir heute keine weißgezuckerten Aschenbrödel-Zitate hören, Weihnachten ist einigermaßen weit weg. Bis dahin herrscht bitte wieder eitel Sonnenschein. Oder auch nicht, denn wie heißt es so schön? Die Realität ist kein Blockbuster. Sie ist kalt und zügig und wird immer teurer. Darauf ein Helga Bauer-Gedicht, wie es Pratajev nie geschrieben hätte: Wir sind gegen den Ernst der Lage / Springen wie Frösche träumen / Bis an die Decke / Bis an den Mond / Weil fliegen sich lohnt.

 

 

 

Als zartes Tresenwesen wurde Tochter Estelle bestimmt. Eben noch mit einem frisch und leicht verschrammten KFZ angekommen, zeigt sie schon wieder ein 2-cm-Lächeln. Was sich im Laufe des Abends, bedingt durch manch‘ gelebte Pratajev-Kapriole, maximal ausweiten wird.

 

Schlag 18:30 Uhr öffnet sich die Partytür. Kai, Dirk und kleines Gefolge stehen im Scheinwerferlicht und sehen so aus, als wären sie falsch im Kaninchenbau abgebogen.

 


 

„Da hält der Wind den Atem an!“ schmettern die Docs. Es folgt ein Geburtstagslied, großes Herzen und Umarmen. Tja! Überraschung gelungen. Und nebenbei: Buffet eröffnet, der Grillvater segnet es mit Steaks und propperen Würsten. Dazu gibt’s einen herbeigezauberten Bulbash. Denn Bulbash ist Beifall für die Seele. Ob das auch für die Leber gilt, ist nicht überliefert.

 

Los geht’s mit dem Konzert, mit der Anatomie eines wunderbaren Abends voller Lebensfreude und tanzender Lust auf eine bessere Welt. Schneller als man blinzeln kann, wechselt Doc Pi - der ewige Chuck Norris unter den Gitarristen - Akkordfolgen, verkündet Doc Makarios mit Raureifstimme Lebenshilfetipps aus dem Pratajev-Kosmos. Von der Bar bis zur Bühne bildet sich ein Trampelpfad der Anti-Aging-Schnapslieferungen. Je voller die Becher, desto leckerer die Gitarrensoli aus dem Süßwarenladen.

 

Als der erste Konzertblock endet, fließt bereits der Schweiß, hat sich Doc Pi gegen die Dopplung von Textilien entschieden. Raus an die Schnapsbar! Auf ein paar Kippen in den Hof und wieder Anker setzen in der kuschelig-rotummantelten Bühnenecke. Ich hab noch einen Russen, ich hab noch einen Russen, ich hab noch einen Rotarmisten im Keller!

 

 

 

Dem Fetischblock schließt sich Pratajevs irre Wanderschaft an, Bulbash verwandelt sich in Ramazzotti, eine ganze Tischlerei steht Kopf. Solange bis das letzte Tierlied verklungen ist und mit „Geh heme meine Kleene“ der finalen Schnapsbar ein Zugabe-Krönchen übergeholfen wird.

 

Der Rest ist ein Staunen, Köpfe bei verlangsamter Rhetorik zusammenstecken, feiern, bald Abschied Richtung Nordstern, Richtung Bettflucht nehmen. Während vor und hinter der Bar noch lange dem Frankenberger Ritus des „auf den Weg Trinkens“ strengste Achtung gezollt wird. Danke Anja, Antje, Estelle, Nadine, Kai, Dirk … allen anderen gleichermaßen!    

 

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