Rasch noch ein ölschwarzes Guinness (486)

 

Ein Freitagnachmittag, wie er im März-Buche steht. Die tief stehende Sonne gibt sich wahrlich Mühe, doch Kälte obsiegt. Doc Pichelstein quält sich durch den aufgebrachten, hupenden, insgesamt verrückten Stadtverkehr von Süd-Ost nach Süd-West. Freudig und beglückt wird Doc Makarios eingesammelt; nichts wie raus aus Leipzig, next stop Tankstelle - auf zwei ehrlose Knacker kurz vor Wittenberg. Ein traditionelles Frühjahrskonzert steht an, wie immer im Irish Harp Pub an der Collegienstraße. Kurz vor Eröffnung der Spargel- und inmitten der glitschgefürchteten Krötenwanderungs-Saison. Man erkennt es an den kilometerlangen, grünen Folienaufstellern am Straßenrand. 

 

Wirt Jens samt Barpersonal sorgen für fließende, irische Getränkeströme. Während Pichelstein die Bühne herrichtet, schreibt Makarios im schlippen-gegenüberliegenden martas Hotel Lutherstadt Wittenberg die Docs ins Zettelwerk ein (Warum nicht ins Goldene Buch?).  Draußen knattern abgewetzte Plastikrollkoffer über den Kopfstein. Menschen, die gerne mit derlei Ungetümen lärmen, werfen auch Sonntagsmittags Rasenmäher an. Menschen vom Stamme Ich, das sind die schlimmsten. Es fällt ihnen nicht mal auf. In ihren Leben passieren noch weitaus schlimmere Dinge. Für die andern. Doch lassen wir es dabei. Sehen der Sonne beim Wandern zu, während alle mit dem Soundcheck reichlich zufrieden sind. 

 

Pub  

 

Das Pub füllt sich, Pratajevs Epigonen schütteln Hände, begrüßen freudig Gäste. Darunter viele Evangelen auf den Spuren Luthers, vom magischen Doctors-Fensterplakat mit dem Label „Schnaps und Weiber“ angezogen. Mitten in der Fastenzeit. Halleluja. Dazu muss man wissen: Evangelen fasten nicht, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen, sondern freiwillig. Damit liegen sie auf einer Linie mit Martin Luther, der selber fastete, sich aber gegen einen vorherrschenden Zwang zum Fasten aussprach: „Kein Christ ist zu den Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet.“ Ja, verdammt. Kein 11. Gebot: „Du sollst fasten.“ Vielleicht taucht es irgendwann auf. Wie ein 12.: „Du sollst Freude am häufigen Geschlechtsverkehr mit wem oder was auch immer haben.“ DAS würde die Konkurrenz von der katholischen Kirche keinesfalls gutheißen. Welche Schmach für keusche Popen. Die soll es ja auch geben. 

 

 

Wen es noch gibt, ist Pia. Tatsächlich. Nach jahrelanger Enthaltsamkeit tritt die einstige Schwesternschülerin der Docs wieder ins Licht. Für all jene, die bereits früher bei wilden Doctors-Ritts im Irish Harp zugegen waren, ein schönes, ein nahezu pastorales Bild der Erinnerung: 

 

Pia  

 

Natürlich: Auch heute hat Pia ein Stethoskop dabei. Nicht nur Herzen werden damit abgehört. Rasch noch ein ölschwarzes Guinness, dann geht’s los mit der Bühnenarbeit. „Da hält der Wind den Atem an!“    

 

Makarios wirft mit einer Stimme, die Bass-Saiten zum Klingen bringt, beste Pratajev-Würste auf den Rost. Gitarrenvasall Pichelstein sekundiert gewohnt fix. Profunde Docs-Kenner stehen sich vor der Bühne in den Schuhen. Sogleich wird mitgesungen, auf Bänken und Stühlen gewippt, als wäre der Zugabeblock bereits in Schlagweite. Doch so weit ist es lang noch nicht. Schippe für Schippe legen die Docs Songs wie Anekdoten drauf. Er war eben kein literarisches, kein musisches Leichtgewicht, der S.W. Pratajev, von dem wie immer die Rede ist.   

 

Die Konzerte im Irish Harp sind in jedem Jahr anders, mal besinnlich, mal von großer Feierei geprägt. Letzteres ist heute Trumpf. Und sie sind zusammenführend, oh ja! Schon viele Liebende erfanden sich unter Titeln wie „Tote Katzen“ oder „Auch die Ratte hat ein Herz“ und gaben sich das „Wir-Wort.“

 

Irish Harp

 

Nach der ersten Schnapsbar, in der Frischluft-Pause, outen sich erneut zwei glühende Menschen. Vor sieben Jahren führte sie der „Schlips aus Lurch“ im Irish Harp zusammen. Doc Pichelstein beeindruckt sowas immer; er schenkt gleich ein signiertes Feuerzeug her. Doc Makarios fällt darunter (wie so oft) nur ein knappes, raunendes „Siehste“ ein. 

 

Weiter geht’s mit dem zweiten Block, den ein angereister Zwickauer – zwecks Erreichen eines letzten Heimatzuges – zu spät verlässt. Der Grund liegt auf der Hand. Ein „Gärtner“, der smarter kaum gespielt wurde, ein „Imker“, der die Bienen liebt, ein „Käferzähler“, eine „Schwimmerin“ … viele mitsingbare Wesen bereichern das Set, Tiere, manche tot, manche glücklich. Irgendwann muss man doch die Beine in die Hand nehmen und später am Wittenberger Bahnhof feststellen, dass da wer an der Uhr gedreht hat. Zug weg, macht nichts, retour zum Pub auf ein paar Zugaben und „Tasche auf, Tasche zu“ gebrüllt. Ein „Löcher im Strumpf“ hinterher. Bis die allerletzte Schnapsbar dem Bühnenwerk ein Ende setzt. Um es mit einem berühmten Comic final zu sagen: „Heute ist nicht alle Tage; wir kommen wieder, keine Frage“.