Denk an Dortmund (470)

 

Das Eis nicht, die Sonne glänzt über Märzenbecherwiesen und Krokusse. Erste Motorradfahrer rasen sinnlos wie todeslustig von Blüte zu Blüte, die Doctoren haben die Gemarkung um den Dresdener Flughafen im Visier. Nach vierjähriger, zumeist coronageschuldeter Tradionspause, lädt die Feiermanufaktur im Waldbad Weixdorf zum nächsten Wintergrillen ein. Während der Fahrt wird fleißig in Erinnerungen geschwelgt, aus Tourbüchern zitiert, immer war Fürst Fedja mit von der Partie. Heute leider nicht. Der Tourmanager erholt sich weiterhin von illustren Reha-Strapazen, stellvertretend sind dabei: einige Kartons Bulbash. Die schweigen auf den hinteren Plätzen und klappern ab und an zum Gruße.

 

Glücklicherweise kommt die Anreise ohne lästigen Stau aus, wird rasch Parkfläche geschaffen, um die Backline samt Wodka Treppe abwärts in den Konzertsaal zu hieven. Techniker Mario frickelt bereits an der Anlage herum. Bühnenaufbau und Soundcheck gestalten sich ähnlich kompliziert wie ein zweiteiliges Puzzle mit Katzenaugenmotiv. Umso mehr bleibt Zeit fürs erste Kaltgetränk, den Merchaufbau, gepflegte Konversation mit Gerd, dem Chefwirt vom Dienst. So ganz nebenbei wird erörtert, dass sich knapp über 100 zahlende Gäste Vorverkaufstickets sicherten. Bedeutet: ausverkauft, Waldbad-Rekord geknackt. Darauf das nächste Kaltgetränk für Fitness-Granaten. Während die Sonne sich anschickt, rund ums Wasser sanft zu entschwinden. Kraft hat sie noch nicht, aber schön sieht’s allemal aus.

 

Der Saal füllt sich, der Grillmeister ruft draußen zur ersten Schaschlik-Runde. Reiht man vier davon aneinander, ist ein herkömmlicher Fürst-Fedja-Spieß hergestellt. Gesagt, getan. Und Geschenke werden eingesammelt, die gibt es heute auch. Vom Jens, von der Dani leckerste Salami, Danke dafür, liebe Weixdorfer!    

 

 

 

Auf ins Backstage, zu den Trockenblumen hinter der Bühne. Dann eine kurze, feierliche Pratajev-Vortragslyrik (statt Intro), schon startet die erste wilde Runde mit dem Wind, der den Atem anhält. Noch sitzen die meisten zu Tische, was sich beim vierten Titel („Wodka Wodka“) komplett ändert. Cottbusser Fraktionen, Chemnitzer, Leipziger, Berliner, Einheimische rücken ran. Die Kellnerin hat Mühe, Tabletts unfallfrei durchzubringen. Und dann hat ja noch wer Geburtstag, richtig.

 

Anlass genug, mal wieder eine Sachsenschlager-Weltpremiere vom Stapel zu lassen. Sie passt sehr gut zu einem Geburtstag, Titel: „Dorte die Torte“. Oder wie Doctor Pichelstein falsch singt: „Torte die Torte“, Korrektur vom Makarios beim Bridge-Gitarrenlauf: „Denk an Dortmund. Dorte, Dortmund.“ Im letzten Refrain klappt’s dann auch mit dem Sächsischen. Weiter geht’s im neuformierten Set. Von der Kulinarik bis zum Fetischlock mit der Fackelgitarre in der „Harten Wirtin“. Rekord erneut verbessert.

 

Pichelstein pustet, das Publikum dampft, tanzt und singt sich bis zur ersten Schnapsbar vor. Das rettende Pausenufer ist erreicht. Beifall ist Bulbash für die Seele! Rasch noch die halbvollen Gläschen leeren. Nicht, dass noch eines verschwenderisch umfällt.

 

 

 

19,57 Minuten später lockt Makarios mit dem „Baffen“ alle wieder retour zur Tanzfläche. Pratajev geht mit Übertreibsand auf Wanderschaft, viele müssen mit. Vom Satten über den Gärtner, vom Wanderer bis zur Schwimmerin. „Sie kommen an ein Dorf …“  Makarios braucht gar nicht weiter referieren, die ersten rufen bereits: „Tote Katzen“. Und richtig. Der Moment ist erreicht, an dem Pratajevs Waldhaus-Pilgerer stimmliche Hoheiten übernehmen, sich mit imaginären Lurchlederschlipsen schmücken, Biber fangen, Ratten herzen, Kühen gutes wünschen. Alle sind komplett drüber und das ist gut so, gut so, gut so. Schnapsbar, Verbeugung, Zugabe-Rufe, gern geschehen, Männer, die am Feldrand stehen.

 

 

 

Ein heftiges Wünsch-dir-was setzt ein. Und wie eh und je heißt es für die Doctors an dieser Stelle: Am Ende der Kraft ist immer viel Weg übrig. Auf geht’s: "Tasche auf, Tasche zu", "Löcher im Strumpf" und was noch alles. Statt einer dritten Triebfeder-Schnapsbar gibt es heute final eine dritte Schnapsbar UND einen Sachsenschlager obenauf: "Geh heme meine Kleene". Feierabend. Pichelstein klebt an der Backstagewand, Makarios wird bereits ein Edding gereicht: Plakat unterschreiben! Es ist alles so, wie Pratajev es voraussagte. Bis die letzten Nachttreuen auseinander stromern.  

 

 

Schweinfurter Schlachtschüssel (469)

 

Das erste Konzert des frischen Jahres! Mit Ziel: Schweinfurter Schlachtschüssel. Was kann es charmanteres geben? Los geht die Reise bereits im Vortag, am Freitagvormittag. Erstes Ziel: der Grenzübergang Selb im Fichtelgebirge, um wenige Meter später im tschechischen Asch Travel Free-Vorräte zu hamstern. Fun Fact: Überraschenderweise werden sie jenseits der Grenze immer billiger. On Top gibt’s ein zünftiges Mittagsmahl nebst Wursteinkauf für Frank „The Tank“ Förster. Befindet sich der begnadete Tourmanager doch gerade genesend in einer Anschluss-Heilbehandlungs-Einrichtung (AHB) in Bad Kösen. Besucht wird er auf der Rückfahrt am Sonntag. Böhmische Wurst statt Blumen als Mitbringsel, so sieht Liebe aus.

 

Um es vorweg zu nehmen: Eine Flasche besten Frankenweines wird auch dabei sein. Gut verstecken ist im Schwange, denn AHB-Stätten verfügen über Bannmeilen gegen jeden Genuss. Rauchen ist erst in einigen Kilometern Entfernung erlaubt; Schilder mit höllenartigen Wesen weisen darauf hin. Wer beim Alkoholkonsum (unter der Bettdecke oder qua Laborergebnis) erwischt wird, fliegt nackt im Wind, mit aufgeplatzter OP-Narbe über den nächsten Zaun und muss per Anhalter nach Hause bummeln. 90 % der Insassen sind auf bestem Wege in die Kurzzeitpflege, im Fernsehen läuft den ganzen Tag Therapie-TV. Mit Tipps für eine gesunde Ernährung - die aber selbstredend nur für zuhause gelten, denn ein (hier zu Mittag gereichter) salzbeladener Fertig-Kartoffelpüree-Mampf unterm Laserdrucker-Schnitzel der Güteklasse Z, läuft außerhalb jeder Konkurrenz. Hinzuweisen ist dito aufs Kulturprogramm. Einmal pro Woche tingeln Trompeten-Günther und die kabellose Mikro-Rita mit dem Mitsinge-Programm „Wanderlieder mit Rollator und neuer Hüfte“ durch den Speisesaal, ein anderes Mal werden bauchverliebte Strickpullover auf dem Best Ager-Catwalk präsentiert.

 

    

 

Nun denn, im Verlauf des Tourwochenendes lassen es sich die Doctoren nicht nehmen, dem derart gepeinigten Frank The Tank WhatsApp-Bildnisse höchster kulinarischer Qualität zukommen zu lassen. Weiter geht’s. Über Land, dann über die A 70 Richtung Schweinfurt. Regel trommelt aufs Dach, mancherorts reißt der Himmel auf, gegen 16 Uhr ist das Parkdeck des Panorama-City-Hotels erreicht, wird eingecheckt und grundsätzlich gecheckt, wie und wo der Freitag noch aus seiner Komfortzone gelockt werden darf. Ergebnis: Treffen mit der Gastgeber-Gäng im Brauhaus, unweit des Hotels gelegen.

 

 

 

Geladen zur morgigen Schlachtschüssel ist auch der komplette Die Art-Tross; Apollo Muffler stellt die Vorhut, der Rest wird samt Gattinnen erst am frühen Samstag erwartet. Und so gelingt es gegen Abend den Docs Muffler, Makarios und Pichelstein Wege mit vom Nachmittagsschlaf verhangenen Augen einzufädeln, die fürs Erste im besagten Brauhaus enden. Leichter gesagt als getan. Denn, wer das Panorama-Hotel ebenerdig verlassen will, muss gleich zwei unterschiedlich verortete Fahrstühle finden, erklimmen und drinnen Tasten drücken, die an Schrödingers Katzentheorie gemahnen.

 

Kommen wir zur Schweinfurter Schlachtschüssel, zur Frage: Was ist das denn? Keusche Vegetarier, vom Picky-Eater-Syndrom heimgesuchte Anti-Beef-Boys and Girls, skippt (wie im Podcast, wenn es ums pralle Leben geht) einfach ein paar Luxusproblem-Buchstaben nach vorn.

 

 

Also. Die Schweinfurter Schlachtschüssel ist keine übliche Schlachtplatte, sondern ein gediegenes Fest in einer großen, geselligen Tafelrunde. Eigentlich wird sie von Blasmusikern beschallt, morgen dürfen die Russian Doctors diesen Part übernehmen. Auf Speisekarten ist sie nicht zu finden, landstrichartig gar unerlaubt. Eine Mindestanzahl von Essern ist erforderlich, der Ablauf erfolgt gemäß überlieferten, archaischen Ritualen aus dem 18. Jahrhundert, als der Schweinfurter Metzgerwirt Schwanhäusser erstmal dazu anstiftete.

 

Die wichtigste Besonderheit ist, dass nicht von Tellern, sondern von langen Holzbrettern direkt auf dem Tisch gefuttert wird. Es handelt sich um ein sehr deftiges Gericht, bei dem verschiedene Schweineregionen – aufgeteilt in sieben Gänge – verzehrt werden. Ehrlose Currywürste, rasch gerollte Klöpse oder gebratene Steaks müssen draußen bleiben.

 

 

Das Fleisch wird zuvor als Kesselfleisch gekocht und späterhin in einer fest abgestimmten Reihenfolge, von Kopf bis Fuß, serviert. Morgen stehen, bei über 100 geladenen Gästen, gleich drei entborstete, regionale Schweine zur Verfügung.

 

Weiter mit dem aktuellen Tagesgeschehen. Im rustikalen Brauhaus mit Steinkrug-Dekor werden hauseigenes Bier samt fränkisch-deftiger Küche serviert. Mitten hinein platzt das Schlachtschüssel-Komitee. Großes "Hallo!" Uwe, Uli & allen anderen. Des Pulitzerpreises unverdächtige Dialoge werden geführt, Frank The Tank bekommt ein paar Schmaus-Bilder nebst besten Grüßen übermittelt. Der Abend endet schließlich schwankenden Gemüts an der Theke des Stattbahnhof-Kulturhauses bei flüssigen Heilkräutern aus dem Wald. Uli ist danach heldenhaft in der Lage, die Doctoren stilecht, im American Chevy (nein, nicht im Moskwitsch) zum Hotel zurückzufahren. Zeit, sich - nach einem malerischen Rundblick vom Raucherbalkon - Betten zu gönnen.

 

 

Abhusten für den neuen Tag. Auf mit großer Garderobe wahrer Eleganz. Doc Pi verteilt nach einem opulenten Frühstück gutes aus der Reiseapotheke, Punkt 11 Uhr steht Uli samt Chevy für den Shuttle ins Dörfchen Hausen bei Schonungen bereit. Die Backline wird verladen. Ab die Post zum Wirts- und Brauhaus Martin. Von dort, Treppe hoch, in den Festsaal hinein. Emsiges Treiben herrscht, die Vorbereitungen sind im vollen Gange. Ein erstes Kesselschwein dampft in einem Behältnis, das nur Riesen problemlos tragen können. Nach und nach trudeln die Geladenen ein, Pichelstein baut die Bühne auf, Apollo Muffler grinst über beide Backen, ein Gezapftes geht schon. Und dazu ein selbstgebrannter Zwetschgenschnaps aus der immer finsteren, fränkischen Rhön.

 

 

Dank bestem Techniker dauert der Soundcheck keine 20 Minuten. Der Saal duftet sauerkrautgeschwängert, Schlag 13 Uhr sitzen alle – und bevor die Schlachtschüssel mit offizieller Rede vom Chefwirt als eröffnet erklärt wird, macht sich Uli auf den Weg durch die Stuhlreihen, um Pratajevs Revue (nahezu auswendig gelernt) vorzutragen.

 

Herrlichstes, in Wodka eingelegtes Impro-Theater mündet im Pichelsteinschen Gitarrenfeuerwerk, Makarios startet Block 1 der Sangesweisen mit dem „Lob des Schweines“ – auf den Tischen verteilt liegt der Text dazu. Es darf unbedingt mitgesungen werden und wird es auch. „Der Saft troff aus meinem Munde …“  

 

Bevor der portionierte Wahnsinn seinen Lauf nimmt, folgt „Wodka, Wodka“ auf die Ohren, „Der Bauch“, dann auf zum Reihenfolgen-Schmaus vor die Tischbretter. Justament gibt’s flinkes, kellnergereichtes Hirn an Rührei, Bauch, Tafelspitz, dazu Landbrot, Kraut. Ehe man sich großartig versieht, steht ein neues Kaltgetränk daneben. Zum Niederknien.

 

 

In den folgenden Sternstunden verfestigen sich die Rituale, manch einem wird ein Schweineschwänzchen angeheftet. Ein keckes „Er (oder) Sie hat’s“ bedeutet: Saalrunde! Die Doctoren stehen wieder auf der Bühne, immer fokussiert, der Wind hält den Atem an. Im extra fürs Schlachtschüssel-Event portionierten Set dürfen weder „Hack“ noch ein früher „Löffel aus Holz“ ausbleiben. „Der Satte“ steht noch in den Startlöchern, während der Saal sich wild applaudierend nunmehr auf Kamm, Schulter, Nüsse, Backen, Ohren, Rüssel, Innereien stürzt. Weiter im Set, dritter, vierter, fünfter Konzertblock, jweils mit dem „Lob des Schweines“ zu Anfang. Makarios überreicht indessen der Veranstalter-Crew einen kulinarisch wertvollen Leipziger Allerlei-Geschenkekorb. 

 

 

Schließlich dunkelt es draußen, alle Erlebniszellen sind nach wie vor aktiviert. Auf in den Zugabeblock! Vor der Bühne ist mittenmang eine grandios genutzte Tanzfläche entstanden. „Tasche auf, Tasche zu“, wird skandiert, „Löcher im Strumpf“, „Schlips aus Lurch“, „Tote Katzen“ und so weiter und so fort. Schweinisch nass liegen sich am Ende die Docs in den Armen, bedanken sich, werden geherzt, verbeugen sich, trinken noch den ein oder anderen guten Schluck. Lange währt der Tag nicht mehr, mit dem Uli-Chevy geht’s zurück zum Hotel, stante pede in die Dusche, kurz ins Brauhaus, Ende. Ein ganz großes DANKE an Uwe, Petra, Uli & Co, heldenhaft. „Hochverdienter Start-Ziel-Sieg,“ wie es im Eishockey heißt. Und: wer kann als Musiker schon von sich behaupten, jemals bei einer echten Schweinfurter Schlachtschüssel aufgespielt zu haben? Dagegen ist ein Stadionkonzert so spannend wie eine Milchsemmel. Eben.

 

Bilder: Danke an die Schweinfurt-Crew

 

 

 

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