Die russische Schattenflotte (492)

 

War es bei den hochsommerlichen Junikonzerten doch recht heiß in Sachsen, rührt sich gerade ein regenschauerprägendes Tiefdruckgebiet nicht von der Stelle. In Leipzig gibt’s dafür Wolkenlücken. Die Doctoren fahren drunter weg und gönnen sich kurz vor der Autobahn in Leipzig-West jeweils knapp vier Euro teure Zapfsäulen-Zipfel. Die Bockwurst selbst wird einen Euro wert sein, Senf plus Brötchen zwei, der letzte Krümeleuro ist der Pappe geschuldet. Oder dem gebotenen Showprogramm, in dem einer der bediensteten Philosophie-Werkstudenten die Bude lauter werdend industriestaubsaugt, während ein anderer brüllt, dass man nichts mehr verstehen kann. Schon gar nicht die Kundschaft. „Welche Säule? Die sieben?“ – „Nein, die …“ – „Wie bitte?“ Nichts wie raus aus der Tanke, Fuß im Blindflug aufs Gaspedal Richtung Pirna. Blindflug deshalb, weil das Navi anmerkt, kein GPS-Signal zu empfangen. Auch die Handys streiken, was da wohl wieder los ist. Vermutlich war’s wie eh und je die russische Schattenflotte. 

 

Hotel Elbparadies  

 

Pi-rna zu finden, das ist nicht schwer, wusste schon Pratajev. Doch sollte man die A14 dorthin schon bei Nossen verlassen, um nicht im A4-Stausumpf zu versanden. Nach einer malerischen Tempo 30-Landpartie (mit bahnüberquerender Buckelpiste, über manches Haushaltsloch hinweg) landet man glücklich auf der A17 mit ihren Bergtunneln. Dann ist es nicht mehr weit; das Zwischenziel der Docs liegt vor Augen: Pirna-Copitz, Oberposta, wo nach dem Einchecken im Hotel Elbparadies ein herrlicher, kippengeschwängerter Blick vom Zimmerbalkon zwei Stunden Autofahrt vergessen lassen. Ein Rest Regen zieht vorbei, Wolken werden gen Tschechien geschoben, die Sonne kommt raus. Herrlich. Jetzt noch Uniwerk-Haudegen Mario zur Abhole anklingeln, der sich als Shuttle- und Technikspezialist zur großen Verfügung stellt. Dafür viel Dank an dieser Stelle. 

 

Noch geringfügig, langmütig im Teppichzimmer ruhen, ferner darf es losgehen, zum Uniwerk, zur Open Air-Hofnacht, wo bereits 2024 ein eigentlich nicht mehr zu toppendes Pratajev-Feuerwerk abgebrannt wurde. Eigentlich. 

 

Hofnacht 2025 

 

Angekommen in der Oberen Burgstraße grüßen viele Hände zum raschen Bühnenaufbau-Ende, darauf ein Bio-Probierchen für Pichelstein, Tonic für Makarios. Ronny und Kerstin landen zur formidablen Brot-Wurstplatte. Eine wohltuende, edle Sache. Ein weiteres Bio-Probierchen, im Tonic landet der erste Scharfschuss, drum klappt der Soundcheck gleich viel besser. 

 

Gesagt, getan, voll wird’s im Oval vor der Bühne. Durstige Biber, Ratten stehen Holzlöffel bei Fuß. Die Lichtenstein-Chemnitz-Fraktion wird gesichtet, geherzt, Mario2, Abordnungen aus Dresden garantieren ein herrliches Wiedersehen. Sogar Ulf hat das gelobte Land gegen die Hofnacht eingetauscht. Bestes Timing. Ronny sorgt für nasses Gold im Mund, Reste aus Bulbash-Vorräten finden reichlich Abnehmerschaft. 

 

Foto: Uniwerk  

 

Gegen 20 Uhr stehen sich die Menschen in den Füßen, sogar Schwangere im Zustand weit fortgeschrittener Sexualität sind auszumachen. Die Docs zucken mit den Achseln. „Dann mal los,“ sagt ein Doctor mit kühlem Kopf dem anderen. Ohne Intro, darauf muss technischerseits verzichtet werden. Liegt woran? An der Russische Schattenflotte. „Da hält der Wind den Atem an!“

 

Pichelstein legt los wie ein Schwimmflügelbeißer im Planschbecken, aus Makarios sprudeln die Anekdoten wie aus zig Brausetabletten. Die frenetisch gefeierten Doktorspiele führen zu leicht beduselten Zwischenrufen. Gleich zu Anfang kreischt es weiblich und vehement von weit hinten: „Männer die am Feldrand stehen!“ – ein ehernes Pratajev-Gesetz gelangt zur Anwendung: Bei so viel Liebesbekundung muss jedes Wunschlied stante pede aufgeführt werden. Zur Belohnung gibt’s Bulbash, „Jeder Schluck ist ein guter Schluck“ hinterher, wieder einen Bulbash, so geht die Pratajev-Reise unermüdlich weiter. Bis die knapp ersten beiden Konzertstunden unter höchstem Durchdrehpotential gespielt sind. 

 

Nach dem Fetisch-Block, der Pichelstein-Kür zum schnellsten Gitarristen, folgt eine erste Schnapsbar. Kein Grund nach Hause zu gehen. Erdhockend, auf Stühlen, lassen sich jene Menschen nieder, die von ihren Getränkeversorgern bestimmt nicht im Stich gelassen werden. 

 

BILD: SEB   

 

Weiter geht das Spektakulum mit dem „Baffen“, mit Pratajevs Gefolge. Einer will sich partout nicht anschließen. Es ist „Der Faule“. Dafür kommt „Der Imker“ mit, „Der Käferzähler“, „Die Schwimmerin“, „Der Gärtner“, viele mehr. Wild ist die Lage vor und auf der Bühne, kein Gang wird zurückgeschaltet, sodass balladeske Gefolge-Titel wie „Die Zarte“ oder „Der Arme“ außen vor bleiben müssen. 

 

Noch wilder wird es bei den „Toten Katzen“, bei der „Ratte“, dem „Biber“ – denn was kann schöner sein auf Erden, als Veterinär zu werden? Das Uniwerk-Publikum singt mit und qualifiziert sich damit für die Teilnahme an den World Choir Games, dem Olympia der Chöre. Die nächsten Spiele werden 2026 in Helsingborg, Schweden, stattfinden. Sofern die russische Schattenflotte nichts dagegen hat.

 

Bild: Uniwerk  

 

„Der Kuh geht’s gut“, die nächste Schnapsbar könnte direkt ins Ermüdungsbecken führen. Pichelstein reckt die Gitarre in die Luft, als hätte er soeben den Stanley Cup gewonnen. Makarios pustet durch, die Docs liegen sich in den Armen, die Menschen feiern, klatschen. Also gut, Zugabewünsche werden eingesammelt, laute, schnelle. Von der „Tasche“ bis zu den „Löchern im Strumpf“, letzte Kräfte werden ganz im Sinne Katherina Reiches mobilisiert. Das ist die aktuelle Ministerin für Wirtschaft und Energie, Motto: „Rente mit 70“.

 

Schlussendlich darf mit „Geh heme meine Kleene“ samt angehängter, allerletzter Schnapsbar die Zielgerade erreicht sein. Verbeugung, Frotteehandtuch, es spritzt der Schweiß, rinnen die Perlen. Schnaufend schmiegt sich Pichelstein an den Bühnenrand, signiert dies und das. Keine Saite riss in den letzten drei Stunden, die russische Schattenflotte hatte Erbarmen - und das sollte sie auch. 

 

 Bild: Uniwerk

 

Auf zum Bühnenrückbau, das Oval leert sich, zum Abschied wird später viel geherzt. Die Bio-Probierchen fließen, der Sehnsuchtsort aber bleibt.

 

Fotodanke: SEB, Uniwerk Pirna