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tour_tagebuch

20. September 2013, Dresden/Alte Feuerwache

Hinten Stiefel, vorne Sneakers (286)


Was für ein Aufruhr gleich zu Beginn des 2. Dresdentages. Der Pratajev-Tross, in letzter Frühstückskonsequenz noch am Buffet des TU-Gästehauses gelandet, hat schwer unter der Herbergsmutter zu leiden. Doctor Pichelstein rutschen gar Halbsätze wie: „DDR-Brauchtum in Sachen Dienstleistungsfreude“ über die Lippen. Aber nun, was hilft es? Brav werden Anmeldeformulare nach-ausgefüllt. Jede Frage nach einem neuerlichen Tässchen Kaffee, jede Apologie darunter vermieden und das Wehklagen der barschen Mutter („Jetzt muss ich diese ganzen Sachen noch in den Computer eintippen“) gebückt zur Kenntnis genommen. Nichts wie weg hier, in den Regen, ins Taxi. Das rief die Putzfrau und die hatte das Herz auf dem richtigen Fleck. Ein Lob an dieser Stelle an die, wie man so schön sagt: Gute Seele des Hauses.

 

 

Auf dem Parkplatz des Lingnerschlosses angekommen sieht Fürst Fedja derweil alle Felle davon schwimmen. Ein einziger sich noch in vermeintlichem Besitz befindlicher Autoschlüssel wird gesucht. Taschen dabei aufgerissen, Schweiß vergossen, das Mütchen darunter bereits an sich selbst gekühlt, taucht der Schlüssel plötzlich wieder auf. Fundort: rechte Lederjackentasche, ganz oben, dort, wo sonst nur kalte Zigarrenstummel schlafen. Noch einmal Glück gehabt. Auf geht’s zur großen Schlösserfahrt mit dem Elbedampfer. „August der Starke“ wartet bereits. Die Tickets gelöst, verbotenes Spatzenvolk beim Spiel mit Senf und Bratwurst gefüttert. Nichts wie aufs Oberdeck, zu Graulocken, einer Schulklasse aus Kärnten und natürlich einer Rotte biertrinkender Ergo-Versicherungsreisender, die lange schon nicht mehr nach Budapest in den Puff dürfen. Oder ist das hier einer? „August der Starke“? Man will es gar nicht wissen. „Leinen los“, ruft der Minijobber am Steg. Zeitgleich legt der Salon-Schiffs-DJ eine Kassette ein. So erfahren die Flussfreunde aus erster Hand, was sich hinter den feilgebotenen Panoramablicken geschichtliches verbirgt. Und zwar auf Deutsch und einer Art Telefon-Sex-Englisch Marke Volkshochschule für Fortgerittene (O-Ton: „August the strunk“). Nur, dass Gräfin Cosel eine „bitch“ war, bleibt leider Gottes unerwähnt. Hin und zurück, Elbe runter und Elbe rauf. Viel gibt es zu schauen. Am linken Rand etwa „August den Schwachen“, mit letzter Kraft den Hosenstall öffnend. Dann lässt er es fließen und Mutti ist 300 Meter voraus, passiert einen einsamen Angler, der gerade mit depressiv-mürrischem Gesicht einem kleinen Fischlein am Haken die Freiheit schenkt. Fürst Fedja tauft ihn "Nemo".

 

 

Am späteren Nachmittag parkt der randvolle BMW bereits am heutigen Spielort, der Alten Feuerwache. Ein Fluthilfe-Benefizkonzert steht auf dem Programm. Das spielt sich sehr gut, wenn die Bäuche vollgeschlagen sind. So beginnt sie, die Suche nach einem Lokal, einem Freisitz, einem Restaurant, einer geöffneten Bäckerei und draußen gibt’s nur Kännchen. Mit jedem Meter schwinden die Ansprüche. Außerhalb des Elbhangfestes scheint hier wirklich tote Hose zu sein. Das einzig geöffnete „Kaffee Wippler“ am Körnerplatz sieht von draußen betrachtet so aus, als wären mindestens zwei touristisch angehauchte Busladungen darin. Auf der Suche nach dem heiligen Autobahngral, sprich: dem Klo. Also weiter, immer weiter. In Elbenähe keimt Hoffnung. „Freisitz geöffnet ab 15 Uhr“ steht hier und dort in subversiver Publikumsverhöhnung. Es hat wohl wer vergessen, die Schilder abzumontieren. So wird geraucht und auch ein wenig geflucht. Bis in letzter Konsequenz im „Wippler“ ein winziger Tisch frei wird. Ein winziger Tisch, auf dem sehr bald zuvorderst riesige Kaffeekübel, allerdings ohne greifbare Henkel am Rumpf Platz finden. So sieht sie aus, die Kunst beim Mäusemelken. Und weil es unisono von der Maus bis zur Katze nur ein kurzer Sprung ist: An den Laternen werden nicht nur passiv-aggressiv dreinschauende Politiker dem Wahlvolk präsentiert. Nein, per Steckbrief wird gar nach einem Kater gesucht. „Hinten Stiefel, vorne Sneakers“, so steht es auf dem Papier, daran mag er wohl zu erkennen sein, der gestiefelte Sneakers-Kater. Ein Sammelstück, rasch eingesteckt. Denn Doctoren sammeln solche Kopien und das ist eine Tugend.

 

 

Glücklicherweise bietet die Feuerwachen-Entourage leckere Brötchenhälften feil. Der Regen verzieht sich langsam, muss er auch, denn heute wird Open Air gespielt. Ganz schön gewagt, aber nun, anders geht es nicht. Unter ersten Bechern Tannenzäpfle lassen sich die Doctoren die Nach-Hochwasserlage an der Alten Feuerwache erklären. Hört sich beileibe nicht sehr gut an, doch es wird zu schaffen sein. Wir wollen es hoffen. Böse Elbe, mach das nie wieder! Ja und dann fallen die Pullover, wird die Bühne mit Gerätschafen, Sangesfreuden und Gitarrenklängen bestückt, kann es eigentlich bald losgehen, doch das Publikum ziert sich noch und denkt heute dreimal drüber nach, an den nasskalten Elbhang zu gelangen.

 

Dann trudeln sie alle auf einmal ein, die Dreifachdenker, die lieben Menschen aus Pirna, Dresden, Leipzig und Umgebung. Hinten Stiefel, vorne Sneakers. Das Konzert startet mit voller Wucht, selbst sehr jungen Ärztinnen ist jetzt nach einem Weingelage. Angehende Bildungshungrige verorten das Gedeihen und Verderben von Mangos und Bananen jetzt auch nach Berlin. Der Vodka kreist, rund um den Merchstand trifft sich das Gelage und als der letzte Ton, die letzte Schnapsbar im Pogotanz verklungen ist, dürfen auch die Doctoren Makarios und Pichelstein pausieren bis Schlag Mitternacht, bis die Schnapsbar schließt. Gerne hätte man noch in den Körnerstuben weiter getrunken, doch der Elbhang ist, wie er ist, so ohne Elbhangfest. Doch wen schert das, rauf in die Kammern, wo ein letztes Getränkelein das Abenteuer Dresden für heute beschließt.

 

19. September 2013, Dresden, Kongress der Medizinischen Psychologie/Lingnerschloss

Drei Meter hoch, 25 Meter weit (285)

Soso, da fahren sie also wieder, die Doctoren. Eben noch mit lauwarmen Bockwürsten an der Total-Tankstelle im Leipziger Osten beglückt (O-Ton-Makarios: „Lauwarme Bockwürste schmecken zwar furchtbar, sind aber wenigstens frisch eingelegt“), schon auf dem Weg nach Elbflorenz. Fürst Fedja sorgt zudem für einen sicheren Transfer („Mit wird ganz anders, wenn du 200 fährst“ – wieder Makarios), die erstmalige Überquerung der Waldschlösschenbrücke versetzt den Tross in Staunen. „So viel Aufruhr. Weltkulturerbe und Fledermäuse. Wahnsinn, nur eine Brücke mit einem Blitzer drauf“ (keine Ahnung wer das sagte).

 

Recht feudal gestaltet sich bereits das Einchecken in die Unterkunft. Bezogen werden, nach erfolgreichem Eintippen des Haustür-Codes, Zimmer in einer herrschaftlichen Jugendstil-Villa des TU-Gästehauses „Einsteinstraße". Den schriftlich hinterlegten Anweisungen (roter Edding, mindestens Stärke 400) der Herbergsmutter, doch bitte gleich beim Eintreffen diverse Formulare auszufüllen, kann selbstredend nicht entsprochen werden. Schließlich lockt von Ferne bereits das Lingnerschloss-Buffet. Mit dem Duft diverser Vorsuppen bereits in der Nase, wird der weinumrankte Elbhang schließlich erreicht. Jetzt fehlen nur noch Roadies. So welche mit dicken, tätowierten Armen, die sich zwei Gitarrenkoffer gleichzeitig über die Ohren hängen und restliches Bühnengepäck auf dem Kojak-Kopf spazieren führen. Doch die sind nicht auszumachen. Also los, viele Meter Kiesweg sind bis zu den Schlossterrassen zu bewältigen. Erschöpften Mutes wird der dem Anlass entsprechend schick gekleidete Gastgeber erblickt und geherzt. Dann geht es in die untergehende Sonne, zum Hang. Die Schiffe auf der Elbe sehen aus, als wären sie kleine Modellbauboote. Pratajev, lieber Pratajev, was haben dir die Russian Doctors nicht alles zu verdanken. Ein Prost dem großen Dichter.

 

 

Adrett frisiert und herausgeputzt präsentiert sich ebenfalls das DJ-Technikduo, weist Makarios und Pichelstein ein. Es folgt ein minimaler Soundcheck. Wer lässt schon gerne frisch gezapfte und geschüttelte Getränke alleine an der Schnapsbar zurück? Und bald soll er ja frei sein, der via Powerpoint-Präsentation angekündigte Platz am Buffet-Himmel. Fürst Fedja, wie immer skeptisch, vor allem was die bereit stehenden Meeresfrüchte betrifft, ist in Debattierhöchstform. Das muss er auch, schließlich war er mal fürs Bekochen von Leipziger Messegästen zuständig. Na manchmal wurde auch ein alter Scheuerlappen paniert. Da kannte man ja nichts. Mittenmang strömen weitere Gäste, allesamt Teilnehmer und Organisatoren des sich seit einigen Tagen in Klausur befindlichen, hiesigen Kongresses der Medizinischen Psychologie, ins Innere des Lingnerschlosses. So sitzt man, tauscht sich aus, die Weinkellner proben sich im Dauerlauf.

 

 

Schweren Herzens werden eine Stunde später die Münder abgewischt, denn stimmt, warum wurde zur Privatfeier geladen? Genau, es gilt, Pratajevs Weisen zu Gehör zu bringen. Möge der Kongress tanzen. Hendrik präsentiert dem aus aller Welt angereisten psychologischen Forschervolk: The Russian Doctors und nach einer Welle von Dankesworten, die im Besonderen der Zunft junger studentischer Hilfskräfte gewidmet werden, startet das Intro. Makarios und Pichelstein verorten sich dabei auf einer drei Meter hohen Bühne. Bis zu den ersten Sitzplätzen sind satte 25 Meter zu überbrücken. Das verunsichert ein wenig, na gut, durch das beständige Anwerfen der Nebelmaschine wähnt man sich bisweilen auf hohen, morgendlichen Ozeanen zu Hause. Doch es birgt große Freude. Begeisterung, klatschende Hände sind am Ufer zu vernehmen. Pratajevs Weisen in einem Elbschloss, dort gehören sie hin. Man kann ja nicht immer nur in Wirtshäusern aufspielen. Der nächste gerechte Vodka erreicht das Bühnenrund.

 

Nach Ende des Konzertes werden schwer bepackte Schnapstabletts gereicht, Lebensbiographien („Die Angst der sehr jungen Zahnärztin vor dentaler Eigenbehandlung“, so einer der Titel) ausgetauscht. Und natürlich Weisheiten, denn die sind im Stadium höchster Lebensfreude immer sehr wichtig. Entscheidend ist dabei nur, dass man sie hinterher schnell wieder vergisst.

 

 

  1. 24. August 2013, Pirna/Hauseinweihe
  2. 10. August 2013, Fürstenwalde/Club im Park
  3. 03. August 2013, Pirna/Hofnacht
  4. 30. Juni 2013, Dresden, Elbhangfest / Grottenwirtschaft

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