Hot Docs verschmähen Schurkenstaatenschnaps (279)


Eigentlich hatten sich die Doctors auf ein freies Wochenende gefreut, mal blau machen statt grün zu werden. Tomatenplantagen auf Vordermann bringen, abends, mit einem guten Schluck in Händen, selbstgezogene Erdbeeren und allerlei vom Grill verdrücken. Sich von den Strapazen der Woche erholen, Teilzeit-Schreibtisch adé. Das war der Plan. Doch nein, ein Anruf aus Plagwitz bescherte ein zusätzliches Konzert im Jahreskalender. Warum nicht? Auf Westbesuch gehen, zum Straßenfest, ein Heimspiel sollte es werden und wurde es auch.

 

Die Sonne lässt alle Freitagsunwetter vergessen, als Tiefgaragen unter und Wohnzimmer im Wasser standen. Betroffen war allerdings nur der Leipziger Süden, dort, wo die Karl-Liebknecht-Straße fließt. Auf der Karli-West, der Karl-Heine-Straße, fließt derweil Publikum von Stand zu Bude. In, wie der Spiegel im Frühjahr so schön berichtete, „better Berlin“, wird konzertiert. Direkt vor einer Hot-Dog-Bewirtschaftung. So mutieren, geschuldet den Drinks und der Hitze, die Russian Docs eben zu den Hot Docs. Eine Bühne gibt es zwar auch, doch müsste man die einige Meter verrücken, worauf gänzlich verzichtet wird; Fürst Fedja, geschwächt ob der Umstände der vorherigen Nacht (O-Ton: Einmal mit Profis arbeiten) greift in die Vollen, Pratajevs Berliner Forscherkolleg um die Herren Winogradow und Dr.h.c.mult. Mary Fiction fasst mit an.

 

Schon steht die Anlage zur Beschallung des Westbesuches im Paket; schnell noch der Ausspruch strikter Trinkverweigerung in Sachen nordkoreanischen Ingwerschnapses, 60 %, vom Opa des derzeitigen Diktators vor Jahren an Winogradows Vater verschenkt. Gerne hätte man probiert, doch die gelbe Flüssigkeit schäumt mit weißem Aufsatz und gemahnt eher an eine Chemiekatastrophe auf dem Miloproschenskojer Feuerlöschteich, denn an ein leckeres Stelldichein, bzw. Kippdichein. Das Auge trinkt eben mit, hm, vielleicht stellt sich eher noch die Frage, ob nicht diverse Augen mitgetrunken werden? Hut ab vor den furchtlosen Verkostern Vincent und Shiva. Dennoch: Mittlerweile befindet sich die Flasche im provisorischen Pratajev-Museum. Na, vielleicht um Besucher damit zu verköstigen. Wer weiß? Vom historischen Wert ist der Speiseröhrenreiniger nämlich schon aller Ehren wert. Echter Schurkenstaatenschnaps!

 

 

Dann geht’s los, starten die Heimatweisen des großen Dichters Pratajev. Laut Vertrag soll eine Stunde konzertiert werden, doch da 60 Minuten nun mal knapp bemessen sind, um wenigstens einen kleinen Einblick ins russische Landleben zu erhaschen, wird überzogen. Ohne Pause geht’s direkt in den Wunschblock hinein. Doctor Pichelstein, heute sehr experimentierfreudig, gibt Gas, anspornende Vodkabecher werden gereicht. Doctor Makarios sehnt die Schnapsbar ein ums andere Mal herbei, dann ist’s geschafft, wurden neue Welten erschlossen und mancher, der vorher noch nie bei den Russian Doctors war, wird wieder kommen.

 

Liebes Westpaketbesuchspublikum, sehr vielen Dank! Auch an all jene, die für die notleidenden Wirte von Miloproschenskoje spendeten. Und so greift sie um sich, die alte Sommertante Nacht. Hier, in Leipzig-Plagwitz, wo sich Fleischäpfel und vegane Würstchen sehr lieb haben.

 

Unter Veterinären (278)


Wenn das erfolgreich beendete Studium der Tiermedizin satte 20 Jahre zurückliegt, ist ein bunter Ehrentag überfällig. Und wen lädt man sich dazu ein? Natürlich Pratajevs Erben, The Russian Doctors. Besonders, wenn das Ehrenmitglied Nummer 38 der Pratajev-Gesellschaft, in hehrer Funktion als Pferdelungen-Transplanteur, mit der Organisation des Ganzen betraut wurde.

 

So ist die Freude groß, als das Brauhaus Napoleon, unweit des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, vom Tourtross angesteuert wird. Teilausgeruht von den Umständen des gestrigen Chemnitz-Ausfluges, das Geschimpf zweier Wellensittiche noch im Ohr, folgt die Einführung in den Ablaufplan, werden Kisten, Boxen, Gitarren in eckbühnenreiche Positionen gebracht. Schon flitzen die Kellnerinnen, reichen Kaltgetränke und Speisekarten. Ein Weg rauf, einer runter. Napoleon selbst, als strammer Uniformist in Nebentätigkeit unterwegs, versprüht Glanz, Gloria und auch Untergang. Shiva hat wenig später Glück, als einer der rennenden Servicekräfte ein Tischtranchiermesser von einem mit allerlei Schwein behafteten Teller entgleitet. Knapp verfehlt es sein Ziel. Blut wird indes nicht vergossen; die Schlacht findet ausschließlich vor jetzt anrückenden Tellermanövern statt. Lecker ist’s, es mundet fein, so darf es für die Doctors immer sein. Denn, wie gestern im Subway to Peter bereits in Dauerschleife festgestellt: so gesund und munter ein vegetarisches Mahl auch sein mag, es führt nur dazu, hinterher gleich wieder Hunger zu haben. Nennen wir das mal den Mc-Donalds-Effekt.

 

 

Das Konzert sieht mehrere Blöcke vor; so legen sie dann los, die Herren Makarios und Pichelstein. Zarte Beifallswogen branden darin; sobald die weitläufigen Pratajev-Themen Schnaps, Tiere, Veterinäre gestreift werden, ist die Aufmerksamkeit besonders munter. Im letzten Part ist Platz für den Fetisch und so schunkeln sie alle dahin, in Worten, Werken und Taten. Beim Bücken. Völlig verschwitzt danken die Doctors, verneigen sich vorm Applaus, um sich in kollateraler Erschöpfung an erfrischender Biergartenbrise zu laben. Einer arbeitet noch, Fürst Fedja. Mit einer Engelsgeduld wird kauffreudigen Veterinären der Inhalt einer jeden Russian-Doctors-CD bereitwillig erörtert. Verkaufsschlager, natürlich: „Tote Katzen im Wind – Lieder eines Veterinärs“. Möge die geneigte Kundschaft Pratajevs Weisen in bisher verschlossene Welten hinaustragen.

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