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tour_tagebuch

03. September 2016, Doberlug-Kirchhain/Hof Nr. 14

Ein schillerndes Ensemble strahlender Liedkunst und ein abflugbereites Reifenrad (351)


Nachdem es Jahre gab, in denen die Doctors beständig in Brandenburg tourten und sich selbst die Berliner sagten: Egal, fahren wir halt mal aufs Dorf oder in die Kreisstadt, wurden die Konzerte im Nordosten zuletzt weniger. Und somit heißt die Challenge beim Start Richtung Tankstellen-Bockwurst heute: „Endlich wieder Brandenburg. Den vorangegangenen legendären Gastspielen fügen wir mit Doberlug-Kirchhain ein schillerndes Ensemble strahlender Liedkunst hinzu. Die Weltmeister auf der akustischen Schnellgitarre kommen!“ Wenn nur die Reifen nicht so klappern würden und sie klappern besonders laut, wenn Buckelpisten und Kopfsteinpflaster dem BMW eine unwürdige Performance abverlangen. Wäre man Gebissträger, müsste man ums Verschlucken der künstlichen Zähne fürchten. Was unwürdig hier bedeutet? Langsam fahren müssen. So langsam, dass Fürst Fedja nur mit Tempo 80 innerhalb der Ortschaftsmauern geblitzt wird. Huch, wie sich die Sonne doch für Sekunden in rotes Licht tauchen lässt, mitten am heißen Spätnachmittag.

 

Doctor Pichelstein liest ein Eishockeybuch über die Nottingham Panthers. Als der Autor einmal auf dem Planet VW in Wolfsburg landete, um einem Freitagsspiel der Grizzlys beizuwohnen, schrieb er ins Tagebuch: Ein Samstagabend in Wolfsburg ist wie ein Montagabend in Nottingham. Das wollen wir gerne glauben. Wir kennen Mono-Städte aus Russland. Wäre dieser Steve Flemming doch jemals nach Doberlug-Kirchhain gereist. Und zwar genau in den Hof Nr. 14, direkt gegenüber zweier ehrfürchtiger Kriegsgräberstätten. Er hätte geschrieben: Ein Samstagabend in Doberlug-Kirchhain ist wie ein Samstagabend in Nottingham. Herrlich, feiernd, idyllisch und es gibt sogar einen Autoschrauber namens Punk. Der trägt jetzt kein lauwarmes Sterni auf dem Iro spazieren, der heißt nur so, weil er einst der erste war, der im Elbe-Elster-Rajon die Ramones hörte. Und wenn es Punk nicht gegeben hätte, wenn es ihn ausgerechnet heute in andere Gefilde gezogen hätte – niemals wäre ans Abendlicht gekommen, dass dem rechts vorderen BMW-Rad gewichtige Schraubdrehungen fehlten. Kurzum: Auf der Rückfahrt wäre es für den Doctoren-Tross ziemlich interessant geworden. Also: Muttischlüssel angesetzt, kräftig gedreht und die Fedjasche Schmette geruht weiterhin auf vier Rädern zu rollen.

 

 

Idylle, ja. Es gibt sehr viel davon im Hof Nr. 14. Blumen explodierten in bunten Farben. Und Wein, selbst hergestellt, in Meißen gekeltert. Und Körbe voller Pfeffi- und Kirschlikör. Die Bühne steht bereits angerichtet wie der Watzmann vor dem Tal. „Aufi oder nit aufi?“ Nee, gleich, erst mal mit den Extrem Lugau-Veranstaltern Kaltgetränke verschnabulieren. Dann heißt es doch: Aufi mit großem Gepäck, Soundcheck. Mal schauen, ob der später hinzustoßende DJ einen USB-Anschluss vs. eine CD-Einlage fürs Intro in Petto hat. Hat er nicht. Denn das Equipment des Modern Man hinterm Digital sieht mittlerweile gar keine Umstände mehr vor. Da wird nur noch gedrückt und aus der Cloud gesogen. Doch keine Panik. Ein Vintage-Player ist schnell aufgetrieben. So sitzen die Doctoren auf eichenen Bänken, strahlen über alle Gesichter, als lecker marinierte Grillfrüchte, zubereitet über glücklichen Kohlen, aufgetischt werden. „Darf’s noch ein Getränk sein?“ fragt eine zarte Wirtinnenstimme. „Ja, aber ja, danke…“ Der Hof füllt sich, bald sind es gut 100 Gäste aller Altersklassen. „Die haben bestimmt noch nie etwas von Pratajev gehört“. „Das wird so sein“, sagt ein Doctor dem anderen. „Dann spielen wir heute Hitparade. Nur das geprüft Allerbeste“. Genauso kommt es auch, gegen 22 Uhr ist Schluss mit grillenchillen, fegen die Feldmänner wie donnernde Kanonen über den fackelerleuchteten Hof. Passend dazu brennt nebenan ein Feuerwerk ab und schießt kiffende Zwerge ins All.

 

 

 

Pratajevs Rebellen des Wohlgeschmacks haben sich heute für die dicke Kirschholzgitarre entschieden. Eigentlich der Back-up in Pichelsteins Sammlung. Open Air klingt die aber einfach besser und füttert Makarios‘ hartbuttrige Stimme bestens. Fürst Fedja hält tapfer durch, steht in der Ecke und wirft einen dramatischen Schatten, noch ein wenig unwohl gelitten ob des gestrigen Knobelbecherabends. O-Ton: „Ab um drei spielen die im Café Westen immer Element of Crime, da soll man wohl nach Hause gehen, ins Heim, doch nicht mit mir!“ Die Doctoren rasen derweil mit Vollgas durchs Set; es gibt viele Wortspenden, viel zu erklären über die Geschichte, das Leben Pratajevs. Zeit für pichelsteinsche Trinkpausen bleibt zur Genüge. Mädchen wir Ansteckblumen flirren kreischend über den Hof, Herren prosten sich zu und schmunzeln, das Konzert nimmt seinen Lauf. Dann darf für kurze Zeit pausiert werden. Klatschnass sind die Doctoren, Toasts werden ausgebracht, scheint allen zu gefallen, was bisher geschah. Und dieses Gedankengarn gleich weiter zu spinnen, folgt der zweite Block. Vom „Bösen“ geht es im Ohrwürmer-Trommelfeuer zu den Tierliedern. Ach ja! „Tote Katzen im Wind“: Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt, vehement wird in der Beifallsorgie ein Lied über Hunde verlangt. Natürlich, alles dabei, lange nicht gespielt: „Furchtbarer Irrtum“.

 

 

 

Auf dieser Woge geht’s bis in die Zugaben hinein, bis sich die Erben Pratajevs galant verbeugen und Danke sagen, all denen, die dieses Werk im Hof Nr. 14 zu Doberlug-Kirchhain vollbrachten. Es folgen schwatzhaft schöne Stunden bis die Hotelbetten rufen. Sie rufen wie der Watzmann und es dauert lange, bis das gesamte Gebäude durchschritten ist, um sie treppauf, treppab tatsächlich in Augenschein nehmen zu können. Einer muss duschen, einer muss rauchen, einer sucht Schießfilme mit der Fernknipse. Es darf geraten werden, wer in diesem sozialen Kontext welche Rolle kurzfristig innehatte.

 

 

Fotos: Kundi, wir danken Dir :)

02. September 2016, Leipzig/Flowerpower

Die Bierglasarmee, ein Entenaufschreckpustegerät und ein deutscher Gott (350)


Es gibt nichts, was es nicht gibt. Eine Fahrraddemonstration zum Beispiel, bei der eine der tapferen Verfechterinnen für die Ausweitung des örtlichen Radwegenetzes in die Straßenbahnschienen gerät. Wie eine trunkene Kneipenkometin fliegt sie zu Boden; alsbald werden mitstreitende Helferinstinkte geweckt, Taschentücher gereicht und Tränen getrocknet. Der Doctoren-Tross sitzt derweil gemütlich an der Ecke Riemannstraße, mümmelt an prä-orientalischen Sodbrennereien und ist ganz ergriffen vom Sattelflug mit Schotterflechte. „Ich kann darüber nicht lachen“, wirft Makarios ein. Noch am gestrigen Tage war er es, der einen echten 90-Grad-Tutukin im Outdoor-Velodrom von Leipzig-Plagwitz aufs Parkett legte. Für eine Mitgliedschaft im ESV Blau-Rot Bonn e.V. reichte es hinterher alle Male und so muss in diesem Jahr erneut ein Barhocker auf der Bühne stehen. Wir wollen hoffen, dass Ausnahmen nicht zur Regel werden.


Das 350. Konzert wird es heute werden, im Leipziger Doctoren-Wohnzimmer ist der Sound an diesem samt und sonders heißen Freitagabend bereits gerichtet. Man hätte durchaus Open Air spielen können, doch beim Januar-Booking eines Septemberkonzertes kann niemand ahnen, dass plötzlich Indian Summer ist. Ebenso wenig ahnte die gestürzte Fahrraddemonstrantin morgens um zehn beim Knoppers in der Buchhandlung nicht, dass der Abend im Dress des ESV Blau-Rot Bonn e.V. enden würde. Wie dem auch sei. Nach einer Runde Talcid geht’s zurück in den Nahkampfblumenclub. Wenn das Leipziger Flowerpower Bücher, ein Lebenswerk der skurril-schönen Ereignisse schreiben könnte, ach, das wäre schön. Was hier alles schon los war. Da möchte man ganz sentimental werden und so ist jedes Konzert immer auch ein kleiner Rückblick auf die ersten 13 Jahre The Russian Doctors. Schade, dass Impresario André heute verhindert ist. Da fehlt einem ein wenig der gütige Schulterklopfer, verbunden mit dem Sätzchen „Trinkt mehr als es euch lieb ist“.



Die Starterklappe fällt um 22 Uhr; das Publikum trollt sich bereits vor die Bühne, in den Ecken. Es ist voll, heiß, nass und siehe da: Durch die Tür schreitet er hinein, der Herr Durst, klopft Fürst Fedja aufs Shirt, ruckelt synonym an beiden Doctoren. Er deutet auf die errötende Schnapsbar und schon fliegt er von dannen. „Wodka Wodka glasklar und rein“ wird darunter gesungen. „Wodka Wodka so muss es sein“. Schon füllen sich die Gläser, reichen bald erste Trinkdeckel an den Tischen nicht mehr aus, so strichelvoll sind sie. Die heutige Reise durchs Pratajevsche Wirken birgt durchaus sauflustige Eskapaden. Kein Wunder. Die neue Platte der Doctors steht kurz vorm Durchschreiten des roten Vorhangs. Dass es sie am heutigen Abend noch nicht gibt, ist zwar schade, lässt sich aber nicht ändern. An so einem Werk arbeiten bildgesprochene Rädchen und wenn eine dieser Rundungen geckert, nun ja, dann dauert es eben ein bisschen á la Haarmann-Style („Warte warte noch ein Weilchen…“).



Bereits in der Pause lässt sich Doctor Pichelsteins Schulterabwärtskleidung auswringen, Makarios trägt Salzhemd und Fürst Fedja einen weiteren Bulbash durch die Nacht. Draußen trifft sich das feiernde Volk, selbst die Bierglasarmee hat den Schnapsbar-Standort verlassen. Es wird geraucht, getrunken, philosophiert und bevor alle noch einer Meinung sind, stößt Makarios ins Horn zur nächsten Doctors-Runde. „Der Rotarmist“ beginnt den Reigen und es folgt Pratajevs Gefolge bis nur noch Strumpflöcher übrig sind, ein „Raucher von Bolwerkow“ verhaftet wird und allen klar ist: „Es muss nicht sein, dass das Leben schlecht ist, weil schlechtes Leben nicht gerecht ist“. Jubeltrubeltrinksamkeit brandet auf bis schließlich die Zugaben-Knautschzone prophetisches verheißt.


Nach fünffacher „Schnapsbar“ geht allen die Puste aus und ja, da ist er, der prickelnde, passende Konzertabschluss: die Hymne des Bruders aus der Sowjetunion wird zum Besten gehörpeitscht. Am Mikrofon: Die Number One der Bierglasarmee, in seinem Munde ein Entenaufschreckpustegerät. So muss er verrinnen, der Tag im Flowerpower zu Leipzig. Mit einer neuerlichen, kuriosen Geschichte, die das Leben nur hier schreiben kann. Während sich draußen, am Grillstand, ein emotional stark geladener Zaungast auf Leerflaschenpirsch vor wurstkauenden Taxifahrern entblößt und behauptet, er wäre ein deutscher Gott. Wie niedlich.

  1. 06. August 2016, Pirna/Hofnacht, Hutbühne
  2. 26. Juni 2016, Dresden/Elbhangfest, Grottenwirtschaft
  3. 24. Juni 2016, Dresden/Café Pott
  4. 18. Juni 2016, Elstra/OT Kindisch, privat auf der Rotkehlchen Ranch

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