Warten bis ein Ziel dich findet (349)
Tags vorm Aufbruch zu einem erneuten Hofnacht-Abenteuer in die Pratajev-Stadt Pirna (Pi-rna) begossen die Doctoren das Ende einer eigentlich sehr spontanen CD-Produktion. „Manchmal wenn der Durst kommt“ erscheint somit pünktlich zum 350. Konzert im Leipziger Flowerpower. Am Tomatenhain des Doctor Pichelstein wurde zudem bereits emsig in die Zukunft, respektive ins Glas geblickt. Bacardi Razz sei Dank. Vom Abend existiert sogar eine to-do-Liste. Das ist neu aber wertvoll, denn sonst vergisst man wieder die Hälfte. Zum Beispiel steht drauf: Studio anrufen wegen Modern Doctors / Weitere Termine vereinbaren oder: Conny Cocker fragen, ob er nicht doch beim Bulbash-Fest (in Fernsehgarten-Glitzerjacke) vortragen möchte.
Viele Ruhendstunden später, gegen 17 Uhr des kalendarischen Folgetages, startet Fürst Fedjas Schmette durch. Über die zweckgebundenen Ritualorte „Total Tankstelle wegen Bockwurst“ und „Hansens Holz wegen Rauchen“ wird Pirna erreicht. Die Lange Straße erweist sich als Baustelle. Damit bei der nächsten Durchflutung der Erdgeschosse (die Elbe ist einen Zwergenwurf, nee, das heißt ja „Münzwurf“ entfernt) garantiert kein Wasser mehr versickern kann, entschloss sich die Stadt den Kopfsteinpflasterbelag mit dicken Betonschichten zu unterfüttern (immer diese Sprichwortschwäche). Das ist mal schlau.

Im Hof frohlocken bereits dynamische Menschen. Da wird Soljanka kredenzt, aus Gläsern und Flaschen getrunken. Man herzt sich und ist in überwiegender Sauflaune. Als die Doctors auf der Bildfläche erscheinen werden Toasts ausgebracht. Schon eilen die Tatkräftigsten Fürst Fedja hinterher und schleppen die Anlage zur Beschallung des Publikums samt Backline empor auf die Hutbühne. Dann müssen Kaltgetränke her, die Sonne meint es gut, die Sonne macht Durst. Gegen den großen helfen bekanntlich mächtige Gläser und gegen den kleinen Durst winzige. Pichelstein besticht darunter in der Kunst des Aufbauens, schon darf gesoundcheckt werden. Erstmals wird geprobt: Das Titelstück zur neuen Platte, „Der wilde Bursche“ und ein paar Schmankerl mehr. Weltpremieren in Pirna! Was tut man nicht alles dafür, sogar proben.
Der Weg ist das Ziel, unter diesem frivolen Wanderer-Motto geht’s Schlag 21 Uhr los. Bis auf den letzten Platz sind alle Bankreihen eng besetzt, auf den Stehplätzen herrscht Gedränge. Sieht toll aus, so aus Bühnensicht. Die Aufregung ist bis ins Zahnfleisch zu spüren, nur Pratajevs Erben sind die Ruhe selbst. Das Intro läuft, die Feldmänner starten. Bereits nach wenigen Minuten glänzt Doctor Pichelstein an der Fix-Gitarre wie ein nasses Sternenfeld. „Manchmal wenn der Durst kommt“ klappt tatsächlich, auch der Bulbash-Song und all die anderen Premieren. Grundgütiger! Immer wieder sieht sich Makarios genötigt, die Pratajev-Reise in neue Richtungen ausufern zu lassen. „Der edle Mann“, ein Lied, das erstaunlicherweise nur in Pirna zu Gehör kommt, wird zwischendrin heftig von Privatier Ulf gewünscht. Bitteschön. Zum Mitsingen reicht es heute auch. Und wie! Mit großem Gaudi schallt zunächst „Beim Bücken“, später „Tote Katzen im Wind“ fußstampfend durch die Lange Straße. Selbst die hier sonst so omnipräsenten Kirchenglocken hätten darunter keine akustische Hoheitschance gehabt. Der Hof wird, wie man so sagt, bis zur letzten Zugabe „auf links gezogen“.

Nach dem „Hermelin“, der dritten „Schnapsbar“ soll es aber gut sein. Über zwei Stunden später, ohne gewerkschaftlich vorgeschriebene Pause, fallen sich die Doctoren mit seufzendem Lächeln in die Arme und dürfen gefühlte Ewigkeiten später Platz nehmen. Fürst Fedja (heute: aka „Mr. Atemlos durch die Nacht“) versorgt beide mit blauen Bulbash-Genüssen. Ja, der Abend ist gelungen und darf ausklingen. Dann gibt es einen kleinen Aufreger: Weil die Mikrofone noch offen sind, folgt ein knackiger Vortrag aus Veranstalterangesicht über einen Tunichtgut, der bitte den Hof verlassen solle. Die Gründe werden genannt - weder irgendwo was hingespuckt noch mit einem Spazierstock einer vorübergehenden Dame das Röckchen gelüftet, sowas nicht. Von einem fiesen Schuldner darf ausgegangen werden. Ja, diese schlechten Unglücksritter kommen leider immer wieder vor. Man sollte ihnen kein Rübendenkmal setzen. Nein, man sollte ihnen wünschen, dass sie in eine schlecht riechende Waldkräutersuppe mit allerlei allergischen Stoffen drin fallen. Und während aus der Anlage zur Beschallung des Publikums nunmehr Element of Crime (allerdings durch Playerdefekte drei Titel im Sandwichmodus übereinander) erklingen, wird weitergebechert, weitergefeiert. Bis das Motto nur noch lauten kann: Warten, bis ein Ziel dich findet.
