tour_tagebuch
Das eigentlich 350. Konzert (353)
Breit und schwer wie eine Harfe, so muss man sich die Denkblasen der Doctoren manchmal vorstellen. Sollte das 350. Konzert doch bitteschön, allein der Tradition wegen, im Leipziger Flowerpower stattfinden und eben nicht in einem Schleußiger Hinterhof. Abgeschirmt von der Welt, als Privatveranstaltung deklariert, den Sound so leise gedreht, dass keine Kanaillen-Oma aus der Nachbarschaft mit Topfblumen wirft. Nein, das konnte nicht das 350. Konzert werden. Eine Zeitreise musste her und schon ist heute, am 14. September 2016, eben der 27. August dieses Jahres. Noch Fragen? Keine. Sehr gut.
Geplant jährlich findet nämlich das fidele Doctors-Grillen seinen Weg in die Kalender treuer Wegbegleiter. Darunter muss man sich den engsten Zirkel des Kartells, gewürzt mit illustren Zufallsgästen, vorstellen. Plattenproduzenten von einst und jetzt, die Generaldirektorenfamilie Fedja und viele mehr. Stets lodert, faucht und knistert um das große Palaver der Grill, denn sonst wäre es ja ein Doctors-Omega III-Fischen oder gar ein Doctors-Vitamin A bis D-Gemüsen. Krönung ist in diesem Jahr nicht das Konzert, sondern die Wodka-Verkostung der Firma Bulbash. Fürst Fedja strahlt verschmitzte Güte aus, schenkt ein. So muss es sein und auch die Harnbouquets werden später herrlich russisch-kornblumig duften.
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Bevor es dunkelt, greift Pichelstein zur Erlenholzgitarre, Makarios begrüßt das Hinterhofvölkchen, los geht’s mit „Wodka Wodka“. Die Flüstershow, der Tanz Pratajevs überdauert gleich zwei gerissene Gitarrensaiten aus nachlässiger Produktion. Eindeutiger Höhepunkt: Miss Fedjas erstmalige Live-Performance „Wodka Wodka Wodotchka“. Dann schließt sich der Reigen heutiger Darbietung mit der letzten Schnapsbar. Nass wie ein vorab elegant tauchender Hütehund tritt Pichelstein zurück an den Schnapstisch, schüttelt sich und hofft auf Rubbelung, doch niemand rubbelt den fixen Gitarren-Doctor trocken. Der ist ja auch kein Rummel-Los. Nun gut, die Nacht wird es richten, jene welche, die nach dem Abgesang der blauen Stunde eine büßergraue Uniform trägt. Peng. Die Zeitreise ist vorüber. Schon haben wir wieder den 14. September 2016.

Punk oder seitengescheitelter Liedermacherwahnsinn? Punk! (352)
2001 gründete sich der Verein UT Connewitz mit dem Ziel, ein historisches Kinogebäude im Leipziger Süden wieder ans Kulturnetz anzuschließen. 15 diesbezüglich sehr erfolgreiche Jahre ist das nun her. Klar, das muss gefeiert werden und die Doctors sind dabei. Motto des Spektakulums: „Diverse Bands werden einen bunten Blumenstrauß verschiedenster Stile überreichen, von dreckigem Punk bis hin zu seitengescheiteltem Liedermacherwahnsinn...“ Dass die Doctors dabei klar ins Punkgenre fallen, dürfte bekannt sein. Auch wenn die Texte Pratajevs nicht so sehr in ein wie auch immer geartetes punk-investigativ-kritisches Gesellschaftsbild hineinpassen. Aber! Die Schnittstelle ist rasch gefunden und sie lautet: „Jeder Schluck ist ein guter Schluck“. Die Russian Doctors bestellen eben das Feld russischer Landdichter. Sie rufen „Löffel aus Holz“ und das kann dann jeder mit „Die Revolution des guten Geschmacks beginnt am Küchentisch“ übersetzen.
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Bevor sie allerdings heute auf der Bühne rufen und gitarrengewittern dürfen, stehen Frau Krauses Schnitzelteller an. Fürst Fedja bestellt fettigen Salat dazu und Pichelstein strahlt übers ganze Gesicht. Gute Laune dank Ostseebuchung bei 30 Grad ab morgen. Auf geht’s um die Ecke, ins UT.
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Das Backstage ist eines der beliebtesten unter Leipziger Bühnenmenschen. Ein voller Kaltgetränke-Kühlschrank bildet die Mitte, daneben steht’s Catering. Bulbash fehlt allerdings. Wie gut, dass Fürst Fedja welchen dabeihat und so vergeht die Zeit bis der Roster „The Russian Doctors“ vorsieht wie im Fluge. Schwups, kein Soundcheck, der „Rotarmist“ weckt das Volk, geht über zu den Schnapsliedern bis der besagte „Löffel aus Holz“ zum Suppentöter wird. Makarios und Prinz Sebastian am Piano verleihen dem „Schiff“ im Anschluss eine sanfte, melancholische Matrosenfahrt. Ziel: Samtmarie. Schon ist die Arbeit getan. Danke, liebes UT. Die Doctoren durften beim Fest dabei sein. Und es kann nie schaden, an diesem geschichtsglühenden Ort mal wieder, zuletzt war’s 2006, ein paar Pratajev-Filmchen zu zeigen.
