Veterinäre wissen: Der Kuh (und dem Gerrit) geht’s gut (230)



Schlimm ist’s, wenn morgens der Handywecker zum Frühstücksappell ruft. Diesen Augenblicken fehlt es eindeutig an Charisma und man versucht ihrer wenig zu gedenken. Doktor Pichelstein ist froh, dass eine Schnapswahrsagerin ihm vorm Zubettgehen empfahl: Geh lieber nachts noch in die Dusche, morgen früh wird das nichts mehr. So sitzen die Doktoren schließlich am gedeckten Park-Pensions-Tisch und gehen zum überdachten Rauchen ein bisschen Spreegucken mit Anglerbötchen obenauf. Mutig kreucht die Nussschale übers Wasser. Von oben dauert Regen hinein und hinterrücks naht ein dicker polnischer Schleppkahn namens Louise.

 

Nun gut, die Spuren der Nacht eindrucksvoll im Gesicht tragend, wird der Bus am Club gestartet. Landstraße bis zur Autobahn, die Scheibenwischer wuseln im Schweinsgalopp wie geschmiert. Und an der ersten Raststätte sehen die u.a. aus Bussen quellenden Rentner sehr nach Überschreiten des Verfallsdatums aus. Einer der ihren wird vom Nachwuchs vermisst. „Vatter, allet klar?“ ruft es ins Männerklo hinein. „Jaja, dauert noch“, kommt flehend jene Antwort, die man besser überhört hätte. Es gibt eben sehr viele Gründe eben nicht jene Örtlichkeiten einer Vielbereistheit aufzusuchen. Und wenn doch, kriegt man davon Gedankenherpes.


Gefühlte kurvenreiche, schlaglochumringte Ewigkeiten später (ausgerechnet: kurz vorm brandenburgischen Einfallstor Großenhains musste die Autobahn staubedingt verlassen werden), dringt der Tourbus in die Flora und Fauna des Muldentals ein. Der Weg gen Wechselburg ist das Ziel. Dort, wo Sühnezeichen und Mordsteine das Landschaftsbild prägen, wo dem Porphyr am Vers gelutscht wird, die Kühe im satten Gras stehen, wo ruhmreicher Bergwald eine Stadt namens Mittweida gebar. Leider, möchte man sagen. Leider, Mittweida.



Im Mietschutzportal www.wowirwohnen.de finden wir da etwa den Eintrag 1025496 vom 24.01.11 (hochwertig) über die Lutherstraße 54: (…) es handelt sich hierbei um einen Neubaublock. Er gehört zu einer Genossenschaft. Die kümmert sich sehr um diese Wohngegend, es wird versucht es trotz Neubaublock schön zu machen, auch ringsherum. Es gibt dort hauptsächlich Rentner und einen Teil ausländische Mitbürger. Die Grundschule ist gleich nebenan, und der Kiga ist auch nicht weit entfernt. Nah ist auch das Stadtzentrum und die Hochschule. Man hat geringe Heizkosten, wenn man so ziemlich in der Mitte wohnt. Die Mitarbeiter der Genossenschaft sind sehr nett, bis auf eine Ausnahme: wenn man die Wohnung nicht perfekt hinterlässt, dann wird dieser Herr gleich ausfällig und hat fast rumgeschrien, furchtbar eingebildet und arrogant! (…)

 

Da steckt viel Wahrheit drin und gerne würde man all die Rechtschreibschwächen übertünchen, doch das wäre ja dann eine Fälschung, eine Verzerrung der Wirklichkeiten in Mittweida. Fraglich ist natürlich, was es damit auf sich hat, eine „Wohnung nicht perfekt zu hinterlassen“. Doch genug der selbstredend schlimmen Disserei eines beleckten Städtchens im frischen Landkreis Mittelsachsen. Auf geht’s zur umgeleiteten Hauptstraße Richtung Topfseifersdorf. Rechtskurve voran, Fenster auf und gute Sachsenluft schnuppern. Rochlitzer Hügel im Nacken, Zeitzeugen durchstreifen die Landschaft mit einer Konsum-Tüte voller leerer Flaschen. Nicht mehr weit kann’s sein bis Königshain-Wiederau, der wahren Auster des Muldentals. Hier stellt man sich Pratajev vor. Wie er mit seinem Lieblingsveterinär J.P. Kuhin über die Felder streift, Kühe impft und die Nase rimpft. Wo jedes Dorffest zwischen Göhren, Mutzscheroda, Nöbeln oder Zschoppelshain zum Diskant ausartet. Wo mit Schnaps-Schüssen auf Schwein und Reh gegangen wird und im Weiher die Frauen ihre Wäsche vergessen. Alles eine Frage des Naturells. Dann wird die Praxis des Ehrenmitgliedes Nummer 38 unserer Pratajev-Gesellschaft - in seiner Funktion als Pferdelungen-Transplanteur – erreicht und die Zeit knappt sehr. Mitgeführte Geschenke zum Ehrentag bleiben ergo uneingepackt. Aber das macht nichts. Herzlich schön ist der Empfang, Veterinär Gerrit strahlt im Glanz des Sektes. Kuchenzeit ist Schnittchenzeit und Doktor Pichelstein wird’s gestattet, die Konzertgitarre auf dem Behandlungstisch neu zu besaiten. Viel gibt’s rundum zu entdecken. Später auch die Pension „Zum Hirsch“. Hier soll tief nachts der müde Augenschluss geschehen und betrachtet man es aus der Retrospektive: sehr gut war’s dort auszuruhen, zu speisen und dem Sommerregen bei seinem Tagwerk zuzusehen. Gespielt wird heute Abend im renommierten Ballsaal „Zum Schulzenhof“. Die Tische sind gedeckt, Sekt reicht sich fleißig von Hand zu Hand, die Feierreden sind gespickt mit edler Poesie und man erfährt auch sehr viel über das Freizeitverhalten, das Zünden von Böllern in Küchen der Kindheit, insgesamt übers Leben und Wirken eines Veterinärs, unseres Veterinärs, denn er lebe hoch. Natürlich auch im Tourtagebuch der Russian Doctors.





Vorab schraubten deren Repräsentanten Makarios und Pichelstein Technik und Bühne zurecht. Welch ein Rundblick! Bis zum unglaublich leckeren Buffet am anderen Saalende ließ es sich von dort oben aus sehen. Dann die letzte Zigarette vorm Intro und los geht’s mit der ersten Lehrstunde Pratajevs in Sachen Landleben und (natürlich) Veterinärmedizin. Dem „Tierarzt“ folgt die „Pferdelunge“ und so weiter bis fort zur Schnapsbar es geht. Nicht ohne Heilkräuterbühnenversorgung durch Ehrengastgeber Gerrit. Und dass es dem heute gut geht, beweisen all die lieben Gäste im Saal. Der charmante Fluglehrer unter ihnen diskutiert mit Doktor Makarios lang übers Pilzgeschehen an sich und lobt Leipzig für seine Seenlandschaft von oben. Bis der nächste Ramazotti seinem Gläschen entweicht und das zweite Set der Doctors mit dem „Rotarmisten“ beginnt. Wippende Füße, schlotternde Beine sind auszumachen; letztlich gibt’s seit langer Zeit mal wieder live und in Farbe Pratajevs Lied über „Die Geburt“. Herrlich. So könnte es immer sein. Große Feierstunden wie diese hier finden wahrlich viel zu selten statt. Danke, lieber Gerrit, für diese hier!





Schnapsgestähltes Kabarett (229)

 

Im Parkclub läuft das Notprogramm und natürlich gehören Pratajevs Erben dahin eingeladen, welche Frage. Während der Heimattiergarten gleich um die Ecke nicht mit prachtwertem Ausstellungsbuntmetall geizt (Adler und Eule am Eingangstor werden allerdings jeden Abend wieder abgeschraubt und weggetragen). Ein langer Weg war es bis hierher. Mal wieder ging’s durch alle Wetter hindurch, Leipzigs Plagwitzer Straßen stauten sich zur Weißglut. Aber so ist das nun mal, wenn man in der Großstadt wohnt. Immer wollen alle alles mit sich voll machen. Und nie kommt man deshalb pünktlich irgendwo an. Wie schön’s doch dagegen zur Abwechslung im Fürstenwalder Park ist.



Der Club befindet sich in den letzten Ausläufern einer langatmigen Renovierungsphase; schuld daran seien unberechenbare Naturausläufer, berichtet Freund Sebastian und übernimmt die Führung. Und wahrlich! Sieht toll aus und wunderbar gestaltet sich’s Ambiente. Selbst notdürftiges zu verrichten, ist richtig angenehm (im Vergleich zu früher). Nur die Schnäpse sind noch dieselben, all die feinen Kaltgetränke aus dem Backstage-Monsterkühlschrank in neublau. Sehr gut. Wollen wir mal einen Blick in die moz-Zeitung wagen: Fürstenwalde. Nachdem in der vergangenen Woche endlich die Bauarbeiten an den Außenanlagen des Parkclubs wiederaufgenommen wurden, hat das Team um Ingo Taboga und Sebastian Bernhardt ihr sogenanntes „Zurnotprogramm“ fertiggestellt. Natürlich könne es passieren, dass einige Öffnungstage aufgrund von Bauarbeiten an den Ein- und Notausgängen nicht stattfinden können, so Sebastian Bernhardt. Weiter geht es am 1. Juli mit einem Kabarett-Musik-Programm der Russian Doctors (…)

 

Aha. Kabarett-Musik-Programm also. „Nun mein Doktor, hast du denn schon lustige Witze über das aktuelle, politische Geschehen im Land auf Lager?“ fragt Pichelstein, als er sich nach dem Soundcheck den rechten Blutdaumen verbindet. „Von wegen Kabarett“, kommt’s zur Antwort und weiter: „Genau wie im Facebook gepostet: Wir sind ne schnapsgestählte High-Speed-Folk-Punk-Kapelle.“ In einschränkender Weise muss indes hinzugefügt werden: Dr. Makarios entwickelte zuletzt eine leichte Allergie gegen Schnäpse mit +50%. Warum das so ist, soll nicht im Verborgenen bleiben und lässt sich unmittelbar an der ersten Übergabe einer Spende für die notleidenden Wirtsleute von Miloproschenskoje messen. Ende Mai/Anfang Juni weilten beide Doktoren u.a. deswegen an der portugiesischen Algarve und fanden zwei Nachfahren besagter Wirte, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, hochprozentige Erkenntlichkeiten aus dem Hut, resp. aus Brennerei & Schnapsbar zu zaubern. Und das bereits ab 12 Uhr mittags bei geschätzten 35 Grad im Schatten.

 

Grüne Eier aus dem Brandenburger Land spendieren Kalf und Chrissi, gesund und gewiss lecker, hinterher dennoch sicherheitshalber im Club belassen. Auf Nachfrage sollen sie gut gemundet haben. Der Berliner Pratajev-Forscherpreisträger Eademakow wird heiß bei Ankunft umjubelt & vom Gitarrendoktor Pichelstein mit jenem Dresdener Plektrum beschert, welches unmittelbar am Grottenwirtschafts-Massaker beteiligt war. Schon eine Ehre, wenn nicht gar eine Ähre, einen Preisträger der Pratajev-Gesellschaft, somit einen honorigen Mitbürger, in seiner Nähe zu wissen. Der Vorstand des Männerchores CONCORDIA Teschendorf sollte sich glücklich schätzen. Und jenes Glück der Erde liegt bekanntlich auf dem Rücken der Kräuterschnäpse (später, während des Konzertes, wird es noch einen Zusammenstoß Frau gegen Schnaps geben, wobei der Schnaps eindeutig an Menge verlieren wird - konträr zur Bekleidung der holden Weiblichkeit). All das weiß auch Baumfreund Ekmel und steckt sich zur Sicherheit am Merch die allerletze LP „Funeral Entertainment“ der Gruppe Die Art ein.

 

Auch ansonsten füllt sich das Rund, füllen sich Ecken und Kanten und weil’s dann so weit ist, geht’s los mit dem schnapsgestählten Kabarett, fallen die Feldmänner über alle her bis zur Pause, in der sehr skeptisch an einer Flasche, gefüllt mit dem Gesundbrunnen brauner Bionade, gerochen wird. „Hm, riecht wie Erbrochenes“, wird teilweise festgestellt, hernach besser der Weg zur Schnapsbar eingeschlagen. Über diesen Weg würde der Kabarettist Xavier Naidoo eine Menge wissen, nuscheln und mit den Händen dabei ganz komische Bewegungen machen. Jedenfalls würde er gemeinhin sagen: „Also ging ich diese Straße lang und die Straße führte zu mir. Das Lied, das du am letzten Abend sangst, spielte nun in mir“. Ist nur ein Zitat. Aber was für ein Unsinn, nahezu ein Paradoxon. „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer, nicht mit Vielem wirst du dir einig sein. Doch dieses Leben bietet so viel mehr.“ Zumindest mit dem letzten Satz lässt es sich leben. Genauso war‘s schließlich bei Pratajev und genauso geht’s Konzert der Russian Doctors weiter und weiter bis zur letzten Zugabe. Denn am Wegesrande, Herr Naidoo, trinkt man nämlich aus der Flasche. Merke: Dann ist der Weg auch nicht so steinig und schwer.


Froh ist Doktor Pichelstein, dass alle Pflaster hielten, was sie vorab kaum versprachen. Ganz sehr würden sich übrigens alle freuen, wenn der Männerchor CONCORDIA Teschendorf das Lied „Tote Katzen im Wind“ in Bälde geschlossen, trinkfest und stimmig zu Gehör bringen würde.

 


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