Auf die Familie! (253)


Die Frage des munteren Lesespielabends „Warum Russland“ lässt sich herrlich leicht mit Antworten abfinden; Diane Hielscher, Doktor Makarios berichten in Worten, Doktor Pichelstein greift mitunter zur Gitarre, zur Flasche.

 

 

Die Feinheiten der russischen Vulgärsprache kommen zum Tragen, Pratajev wusste einst gar die Grobheiten zu schätzen. Zwischendurch wird, versehen mit einem Glas Wodka, das Tal der Eisheiligen betreten, einem Trinkspruch auf die Familie im Großen, dann im Ganzen folgend. Während der Fußballclub Bayern München das erste Triple der Vereinsgeschichte anstrebt. Vize-Meister, Vize-Pokalsieger usw.

 

Der letzten Runde folgt ein logischer Gang nach schräg gegenüber, ins Noch Besser Leben. Das hat man sich verdient - und in ein paar Tagen geht’s nach Berlin, aufs Schiff. Großes Festival auf der Spree!

 

Foto: Oliver Baglieri (Edit. PaperOne, Leipzig)

 

Im Fahrradladen gegenüber (252)


Hinlänglich bekannt dürfte es sein, dass die mittelbare Konfrontation in Sachen Leipziger Buchmesse der unmittelbaren (Messegelände, Rudelbildung, Jahrmarkt der Eitelkeiten uvm) immer vorzuziehen ist. Nicht nur Sozialphobiker schwärmen deshalb mittelbar von einem Setting namens „Leipzig Liest“; verteilt auf die gesamte Heldenstadt lesen sich Autoren darin Wölfe. Die Orte dafür sind einmal interessant (Buchhandlungen, Uni-Hörsaal der Rechtsmedizin), nett (Kneipen), verwegen (Hinterstübchen) und anderweitig seltsam. Pratajevs Erben buchte man, mitsamt der Punchliner-Leseshow, ins Verlagshaus PaperOne. Es radelt der Doktor Makarios hin, Doktor Pichelstein nutzt widerwillig den öffentlichen Nahverkehr. Widerwillig deshalb, weil Leipzigs Busse und Bahnen, vor allem in der Wochenendzeit ab 18 Uhr, auf den Magistralen elendig überfüllt sind. Zu geht’s wie vorm Spätverkauf, Schweiß und Siechtum beflügeln die Luftfeuchte. Was man nicht alles auf sich nimmt, damit das Auto zuhause bleiben darf. Man spielt total unplugged und dafür braucht es kein schweres Bühnengerät.

 

Die PaperOne-Belegschaft rechnet mit 20 zahlenden Gästen. Nun ja, unbekannterweise. Denn hinter einer „Punchliner-Show“ stecken schon die literarischen Slam-Hochkaräter Micha-El Goehre, Marian Heuser, Björn Högsdal, Andreas Weber, Torsten Wolff und Axel Klingenberg. Was tun? Rübergehen, ins Dr. Seltsam. Ein Mix aus Fahrradladen und Kneipe. Die Merseburger Straße weiß immer Lösungen. Vielleicht hätte man sogar ins Noch Besser Leben umziehen sollen, denn auch das Seltsam platzt bald aus allen Nähten. So hockt Doktor Pichelstein gitarrestimmend hinterm DJ-Pult, sitzt Doktor Makarios auf einem Puppenhaus-Gitarrenverstärker. Die Stimmung ist prächtig und Stimme gewinnt. Die Russian Doctors eröffnen mit „Da hält der Wind den Atem an“.

 

Die geneigten Slam-Kollegen sind bester Laune; da kein Platz mehr für den obligatorischen Buchstand ist, verdingt sich Verleger Andreas Reiffer, naturgemäß dito für die Pratajev-Bibliothek zuständig, als Autoherausverkäufer auf dem Straßenkopfstein. Es klirren die Flaschen, es tanzen die Gläser. Drinnen wie draußen nehmen Schnapslaunen Gestalt an. Intermittierend greifen die Doctors ein, Stichworte aus Vorträgen aufschnappend, Pratajevs Texte ins Dr. Seltsam hinein schmetternd. Gemeinhin ein seltsam schöner Abend, Schlusssirene: Jeder Schluck ist ein guter Schluck. Und jeder Weg in die nächste Kneipe, ins NBL, ein kurzer Weg. Gerne wäre man noch hinausgegangen, um den Punchliner-Tross zu verabschieden, doch der eisgekühlte Becherovka glänzte einfach zu sehr. Deshalb an dieser Stelle, nachholend erwähnt: Gute Heimreise!

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