Médaille d'or de tour de télévision (295)


Die heutige Etappe beginnt im Leipziger Fußballstadion, Red Bull-Arena genannt. Gemeinsam mit Familie B aus C sorgt der Pratajev-Tross im Block für Aufsehen. Leger is lediglich Doctor Makarios bekleidet; der Rest trägt Eishockey-Fanschals (Fürst Fedja: Neman Grodno, Dr. Pichelstein: Icefighters Leipzig) und am Ende siegt das Heim- (Trend) gegen das Roadteam (Tradition) mit 2:1 Toren. (Trend und Tradition sind übrigens deshalb in Klammern geschrieben, weil auf Plakaten zu lesen war, dass Tradition gut ist und Trends das glatte Gegenteil sind. Um es mal sehr nett auszudrücken. Aber im Kinderfernsehen würden die coolen Moderatoren gewiss ähnliches erklären). In der Halbzeitpause darf ein 9,50 Euro-Gewinn am Getränkestand erwirtschaftet werden. Gegenteiliges wäre beinahe 45 Minuten in Sachen Ersteinkauf geschehen. Da wollte die Verkäuferin pro Colabrause statt drei gleich 12 Euronen einstreichen. Früher gab es bei derlei Unvermögen traditionelle Taschenrechner oder mathekundige Souffleusen in Kassennähe. Alles wegrationalisiert. Nur noch Trend, furchtbar.

 

 

Gleich nach dem Schlusspfiff gewinnt die Etappe an Gewicht. Nachdem die Vorentscheidung beim Rennen um das goldene Schnapsglas zugunsten der Doctors bereits gefallen ist, heißt das Ziel heute Berlin, wurde dafür eigens die „Médaille d'or de tour de télévision“ kreiert und ausgelobt. Also nichts wie los bei Hasenwetter, vorbei an Hundertschaften Polizei zum Autobahnbeginn gerast, Bockwurst-Stopp am Fläming, Berliner Ring, Abfahrt Wedding, dann die Makarios-Notenspur (Weltkulturerbe in spe) entlang, Torstraße, Ackerstraße: Schokoladen-Mitte! Auf den Punkt genau, 18 Uhr, wie zugesagt, stehen die Doctors in ihrem Hauptstadt-Wohnzimmer, direkt vorm Club fand sich gar ein Parkplatz. Das gab es in Berlin noch nie.

 

Fieberhaft regelt der Mix-Headcoach, unter Zuarbeit des Doctor Pichelstein, Bühnenklänge ein, während die Herren Makarios und Fedja die Merch-Ecke mit Produkten aus dem Hause upArt bepflastern. Der Soundcheck ist ein Kinderspiel und so lockt ein üppiger Pizzakarton zum Mahle, werden Getränke wie Zahnstocher zum Munde geführt, öffnet die Kasse, strömen die Menschen ins Schokoladen. Um Schlag 19 Uhr herrscht Trubel wie auf einem türkischen Basar. Brandenburger Wiedersehensfreuden sind besonders toll; die Heimat Helga Bauers ist zahlreich vertreten und wie so oft gibt’s frische Chor- und Fischanekdoten (Hecht über drei Grundstücke gejagt). Pratajev-Mitglied „Meetchen“ trägt heute den Augenöffner „Sehr dralle Schwesternschülerin“ in der Karneval-Lidl-Kollektion spazieren. Während Langzeitberliner in artigen Reihen an der Schnapsbar stehen, Eademakow schwört, den mitgeführten Fotoapparatschik heute gewiss nicht zu verlieren und Dr.h.c.mult. Mary Fiction französische Kippen spendiert. Dann der Startschuss, das Intro läuft. Lasst die Fesselspiele mit rund 75 dB am Pult beginnen. Ab 19:30 Uhr gilt’s; die lauteste und vor allen Dingen schnellste Lesung der Welt macht das Rennen auf dem steilen Weg zur Médaille d'or de tour de télévision. Gleich zu Beginn mutieren Tanzbeine zu schlotternden Knien; von Affekten gebeutelt muss mancher Schnaps der Verzehrung anheimfallen. Winogradow legt galant einen heißen Jägermeister-Tablett-Stepp aufs Parkett, denn: Jeder Schluck ist nun mal ein guter Schluck. Pausen gibt‘s heute nicht, dafür gelungene Publikums-Choräle und wieder einmal ist’s sehr schade, keinen Tontechniker für eine Live-CD an Bord zu haben. „Beim Bücken“ und „Tote Katzen im Wind“ gehören zudem längst in der Mailänder Scala aufgeführt. Mindestens. Aber wenn, dann nur mit dem Schokoladen-Volk vorm Mikro.

 

 

Nach knapp zwei Stunden schlägt die erste Schnapsbar wie ein Meteor ein; frenetisch ist der Zugabejubel. Doch, geschuldet der dezibel-verliebten Nachbarschaft, finden die letzten Pratajev-Weisen ab 22 Uhr nur noch im geschätzt 25er-Soundbereich statt. Das ist eben so, da kann man nichts machen und froh ist man dennoch allemale, in Berlin-Mitte überhaupt noch konzertieren zu dürfen. Wir kennen es aus Leipzig, wo bravliberale, Grün wählende Bürger sich mitten in der topsanierten Stadt (sie können es sich ja leisten) niederlassen und laut klagend bei Gerichte um Beruhigung ringen. Zunächst ist der Schwerlastverkehr dran, dann werden die Liveclubs bekämpft und am Ende herrscht totenstille. Bis die Kinder groß sind und nichts wie weg wollen aus diesem Elendsviertel. Nach Berlin, ins Schokoladen wird es sie dann ziehen, natürlich. In diesem Sinne noch eine allerletzte Schnapsbar, dann keuchen beide Doctors strauchelnden Ganges schwitzend in die Menge und sehen unterm Schummerlicht dabei aus wie weichgezeichnet.

 

Grand Prix de planetarium (294)


 Beschwerlich ist so ein Morgen, wenn es in Wahrheit bereits Mittag ist und natürlich gibt es um diese Zeit kein Hotel-Frühstück mehr. Drum auf zum Danny nach nebenan, Kaffee fassen an der Schnapsbar. Gerade eben ist die Putzkolonne durch. Zeit also, um sich in neuen Rekorden zu sonnen, die wir an dieser Stelle jedoch nicht wiedergeben können. Zu groß wäre die Angst der Wirte ums flüssige Equipment und wahrscheinlich würden die Doctoren dann in Zukunft nur noch mit unter Musikern so gefürchteten „Trinkwertmarken“ ausgestattet werden. Womit dann doch jetzt einiges verraten wurde. Aber wie dem auch sei. Unter leicht dissoziativen Zuständen setzt sich die Tour de Docteur, das Rennen um das goldene Schnapsglas, fort.

 

Zunächst lohnt es sich, die erzgebirgische Landschaft in Augenschein zu nehmen. Ein Stopp hier und da, Sonne umspielt alle Pisten, wie schön’s doch ist. Nur die Bewohner der gelobten Gegend rund um Gablenz trauen dem Frieden nicht. Drei schwarz gewandete Pratajevianer durchstreuen die Idylle. Das kann nur eine rumänische Enkeltrickbande sein. Auf zu Gerd und Bärbel, in den örtlichen Gasthof der Familie Hecht an Tischnummer 6. Hier wird gerade frei, die Draufsicht ins Aquarium ist eine Wonne. Es gibt Grufti-Fische und Popper in bunten Farben zu sehen. Der Knüller ist indes eine batteriebetriebene Muschel am Meeresgrund, die alle zwei Minuten aufklappt und für eine dicke Wasserblase sorgt. Jedes Mal gerät das Fischvolk darüber in blanke Panik. Tsunamis gehören ja auch grundsätzlich nicht zu den Erlebnissen, denen man gerne beiwohnen möchte. Sei es als Fisch oder als Wildgulasch oder als Ente.

 

 

Um der Traumatisierung des quirligen Flossenvolkes nicht etwa weitere Nahrung zu geben, werden letztgenannte Früchte des Stalles und der Felder im Hauptgang bestellt, verzehrt. Es schmeckt so, wie es in einer guten Spezialitätenküche schmecken soll, nämlich sehr gut und eigentlich müsste man jetzt ruhen. Doch nein, weiter geht’s mit der heutigen Etappe. Wollen wir sie mal „Grand Prix de planetarium“ nennen. Die Zielgerade befindet sich in Jena, in der Musikkneipe Alster. Ab dafür über die Autobahn gebuckelt, schnell noch neue Gitarrensaiten an der nächste Rasteroste aufgezogen. Ja, so kommt es einem vor: schnell. Doch in Wahrheit vergeht die Zeit sehr langsam, eigentlich gar nicht. Das muss den gestrigen Feierlichkeiten geschuldet sein. Entrüstet darüber wirft Fürst Fedja ein Zigarrenmäntelchen in den Wind. Der weitere Plan sieht Kaffee und Torte in Jena-Zentrum vor und er gelingt. Noch zwei Stunden bis jemand am Alster-Pub ist, gefühlt sind es zehn. Nebenan springen gerade Erlanger Krieger in schwarz-rosa-gold über die Straße: die Band JBO, in Eishockey-Hallen berühmt geworden mit dem Hit „Satan ist wieder da“. Das wird immer dann gedudelt, wenn ein heimischer Spieler, meistens nach einer kleineren Rauferei, siegreich vom Eis, also auf die Strafbank fährt.

 

 

Aktuell sitzt Fürst Fedja drauf. Mal wieder sind wesentliche Dinge des täglichen Glücks mutmaßlich abhanden gekommen. Diesmal nicht diverse Eintrittskarten, das Handy, die Kamera oder ein letzter anzunehmender Autoschlüssel. Nein, die Geldbörse mit sämtlichen Papieren darf heute Quell der Panik sein. Einem hastigen Suchen folgt blutdrucksenkende Erleichterung. Wieder ist’s die linke Lederjackentasche. Sollte also jemand mal unseren Fürsten unterwegs panisch an sich herum suchend antreffen, einfach sagen: „Linke Tasche oben“. Dankbarkeit wäre eine weise Ernte wert. Und endlich öffnen sich die Tore, Koffer und Gitarren stehen wenig später im Kneipenschlauch. Doctor Pichelstein gönnt sich ein Rosenpils, steigt aber auf Empfehlung („trinkste Rosen, machste dir bloß in die Hosen“) gleich auf Beck’s um. Doctor Makarios hadert noch: lieber Tonic. Fürst Fedja ruft kurzentschlossen: dasselbe. Bis es Lendchen auf Spinat gibt, der „Wanderer“ Pratajevs wieder livehaftig wird. Grand Prix de planetarium – auf geht’s, kämpfen und siegen. Gesäumt wird die Piste heute von asiatischen Völkern, weit gereisten Schienenfreunden der russischen Landdichtkunst wie nahegelegenen Bewohnern. Pratajev-Mitglied I.A. Polenz nebst Geleit berichtet von den Tücken des Ausgehens, Wein prostet sich zum Gelbschnapse bis die Introzeilen übers Alster hinaus schallen. Jetzt erst vergeht die Zeit wieder richtig, laufen die Uhren wieder rund und man selbst nicht vorweg. Die Saat des feinen Soundchecks geht auf wie ein Kornfeld mit Blumen im Sommer. Alles spielt sich wie von selbst und nach der Pause wird getanzt, gehüpft, gesprungen. Ein warmer Zugaberegen bildet den Abschluss der Etappe. Keuchend, nass wie ein Tsunamifisch an Land stehen sie da, die Doctoren und wissen: Das war heute mächtig schön.

 

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