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tour_tagebuch

13. September 2014, Halle/Turm

Der verkohlte Veggieburger (306)


Das jährliche Ehemaligentreffen einer generationsübergreifenden DDR-Schulform, von der Doctor Pichelstein wenig versteht, weht Pratajevs Erben in die Moritzburg zu Halle. Der Sommer hat sich erledigt, Herbst steht in Büschen und Tomaten. Nass ist’s, die Tankstellen-Bockwurst wartet auf einen verdienten Verdauungsschnaps. Bis dieser feilgeboten wird, dauert es noch eine Weile. Zunächst heißt es: Akklimatisieren, dem Soundcheck der Kollegen von Lizard Pool lauschen, Prominenz aus den Reihen der Pratajev-Gesellschaft begrüßen. Winogradow überreicht Doctor Pichelstein eine Basecap mit dem Logo der legendären Eishockey-WM 2010 (Deutschland stand endlich mal wieder im Viertelfinale), der schnellste Gitarrist der Welt strahlt über beide Backen. Rasch zur Bratwurst, damit sie rund und füllig werden.

 

Fast wäre es passiert: In der Hoffnung auf ein flottes Steak zeigt Doctor Makarios auf ein rätselhaft aussehendes Stück Ding am Grillrand. Der diensttuende Mann mit der Zange und den Senfflecken am Revers zeigt sich verblüfft. Will einer der wohlgenährten, überaus gesund dreinschauenden Herren Musiker tatsächlich einen Veggieburger? Als der furchtbare Irrtum ans Licht gerät, das Enigma gelöst ist, schütteln sich alle vor Lachen. Also Wurst. Vom Schwein. Und das muss sein. Wurst macht Durst.

 

Die Schnapsbar auf der Konzertebene hält schwarze Gerstensäfte vor. Soll ein Schnaps die Problemzonen des Körpers befrieden (beim hungrigen Mann sind damit gewisse Innereien gemeint), muss man eine Etage höher wandern. Zu den Rauchern von Halle, nicht von Bolwerkow. Es folgt eine bewegende Eröffnungsrede, mit allerlei Information gestückt. Und wie jede bewegende Eröffnungsrede, die mit allerlei Information gestückt ist, beginnt auch diese mit einer furchtbaren Mikrofonrückkopplung. So ist es, es wird es nie anders sein. Das Leben ist ja derart unbeständig geworden, auf nichts ist mehr verlass, klagen selbst die Psychotherapeuten der Patienten, die sich mit genau dieser Gemengelage an eben die vom Leben hoffnungslos überreizten Psychotherapeuten wenden. Wie froh ist man deshalb, vertraute Dinge erleben zu dürfen. Lizard Pool legt los. Größer Sound, sehr schön. Mit von Sinneslust geschwollenen Adern.

 

Danach sind die mittlerweile schnapsgestählten Doctors dran. Dem Line-Check folgt der erste Konzertblock. Doctor Pichelstein legt los, als habe er gerade am Grill rasch noch eine dicke Jagdwurst verzehrt. Mit einer friedfertigen Erzählmelange aus russischem Wirtshaus und ukrainischer Datscha bewegt Doctor Makarios derweil die Menschen. Das Rauchen in der Ebene versteht sich von selbst. Die ersten Musikwünsche werden laut. „99 Luftballons“ sollen es sein. Pichelstein kann dieses Liedchen natürlich spielen; schließlich gehört’s zum Repertoire eines jeden Gitarrenlehrers, der er einst in Münster mal war.

 

Makarios indes stoppt diese musische Kleingärtnerei ganz schnell, weiter geht’s durchs wilde Tour-Distan, durchs Programm. Über die Tiere, die gefesselten Damen, die bückenden Herren. Der Turm singt mit, der Turm tanzt. Ein verheißungsvoller Ort, voll mit ehemaligen Schülern, schreitet geschlossen zur Genesungstherapie. Schlank und rank und öfter auch ein bisschen rund um den... ähm, Gürtel. Auf die Pause wird glatt verzichtet. Schon trällern und musizieren Pratajevs Erben und Solitäre in die Zugabehonorigkeiten hinein, weht draußen ein Wind überm leeren Grill. Doch nein. Was ist das? Ein kleiner Veggieburger, schwer verkohlt, das arme Ding, dampft tapfer vor sich hin. Kühe und Veganer aller Länder, vereinigt Euch, schreitet Seit‘ an Seit‘ dem Morgenrot entgegen. Seht auf diesen Veggieburger! Mit einer Kirsche obenauf sieht das Leben wieder lecker aus.

 

Dann ist es geschafft, die segensreiche Bühnenarbeit ist verrichtet. Manchem Gelehrten wird am Magazin der Doctors Pratajev lyrisch näher gebracht. Die Schnapsbar scheint im matten Licht, von allen Seiten rollen Gläser auf die Doctoren, auf Fürst Fedja zu. Mit letztem Kampf gelingt die Leerung. Pichelstein bemüht den Selbstversuch und beißt in den verkohlten Veggieburger hinein. Er überlebt nur knapp. Schon parkt das Tourauto an Halles Güterbahnhof. Und während direkt gegenüber vom Hotel Europa eine Busladung mittlerer Herren in unauffälliger Montur um Einlass im Puff begehrt, steht das Mitleid der Doctors den Damen Pate.

 

22. August 2014, Teschendorf/Gartenfest zum 65.

Pratajev in Familie (305)


Freitagnachmittags gen Berliner Ring zu fahren, birgt Staus und Katastrophen. Die Menschen sind eben unruhige Geister, es scheint kaum welche zu geben, die mal gemütlich am Wochenende zuhause bleiben wollen. Nein, schon hängt die Arbeitskluft am Haken, hat Muttern Klöpse gebraten, dann alle ins Auto und schnell weg, egal wohin. Vielleicht an die Ostsee. Dafür hat man großes Verständnis. Denn im Gegensatz zur Nordsee ist auch immer Wasser da. Dazu zählt man auf den Straßen noch jene, die im Feierabendverkehr unbedingt noch einen Baumarkt erreichen wollen. Nur nicht mit der Frau oder dem Mann in die eisige Stille des Wochenendes verfallen. Besser hämmern, sägen, Sportschau gucken. Wer rastet, der rostet auf dem Kissen dahin. Und, was noch schlimmer ist: Wer zuhause bleibt, dem droht das größte Ungemach von allem, dem droht Besuch. In diesem Punkt kann man die Menschen verstehen. Besuch ist immer mit viel Arbeit verbunden, denn Besuch hat Hunger und Durst und spinnt oftmals großen Unsinn. Manche besuchte Menschen fahren am Montag wieder auf die Arbeit und fühlen sich danach so schwach, als wäre bereits wieder Freitag. Es sei denn, man bekommt lieben Besuch. Das ist etwas völlig anderes.

 

 

Trotz des hohen Verkehrsaufkommens, das die Doctors mit Umwegen über eine possierliche Stadt namens Wolfen gezielt meistern (Die Verb-Ableitung „wolfen“ steht auch synonym für „anbaggern“), ist bereits nach zwei Stunden der Abzweig Oranienburg erreicht und das Löwenberger Land nicht mehr fern. Teschendorf heißt das Ziel der Reise; die Doctors sind – ohne, dass es der Gastgeber weiß – zu Joachims 65. Geburtstag eingeladen. Seit Jahren kennt man sich bereits von großen und kleinen Festen und Konzerten in Brandenburg und Berlin. Mancher Kümmerling wurde darunter bereits mit Freuden verzehrt. Gezielt vom Nachwuchs verführt, bzw. auf „Pratajev-Linie“ gebracht („Jeder Schluck ist ein guter Schluck“), kennt die Begeisterung für die Doctors weiter keine Grenzen. Selbst die Oma kann manche Weise auswendig singen. „Frank Schöbel in Familie“ war gestern – heute heißt es hoffentlich allerorten: „Pratajev in Familie“.

 

Der Empfang ist wunderbar; die Überraschung gelingt und erst nach ein paar kräftigen Herrenknuffen wird die Fassung wiedererlangt. Einer Führung übers Idyll, vorbei an Hühnern, Hund, sehr wohlgenährter Katze, Obst- und Gemüseplantage, folgt die erste Wodka-Bowle, dann die zweite und schon steht das Vorprogramm Spalier. Es ist der Männergesangsverein Concordia Teschendorf mit einem zünftigen Repertoire. Alte Hasen, die es können. Nach wie vor besteht der große Wunsch nach einer gemeinsamen Studioaufnahme. Es müsste sich dabei um ein Schnapslied handeln, denn dieses Sujet lieben beide: The Russian Doctors und der Männergesangsverein. Yeah! Um es mit den Worten der Puhdys zu sagen.

 

 

Hinein geht’s zu Speis und Trank. Vom Reh bis zum Fisch über das Schwein ist alles dabei. Fürst Fedja, eben erst aus Weißrussland zurückgekehrt, kommt langsam wieder zu Kräften. Die Doctoren Makarios und Pichelstein schielen schon mal auf den Kuchen, auf die Torte, den Nachtisch. Doch will man gleich singen, geht derlei erst später hinein. Und so schraubt die Gemeinde schließlich die Bühne zusammen. Es werde Licht, der „Rotarmist“ erklingt. Heute gibt’s ein Set ganz ohne Vorgabe, heißt es plötzlich nach Jahren wieder live „Gelber Schnaps und selbst gebrannt / Besseres ward nie gekannt“. Pratajev-Mitglied „METchen“ sorgt ohne Unterlass für diverse Ausgeburten der Kräuter aus dem Wald, serviert in kleinen Gläsern. Die Abmachung lautete wohl anfangs noch: „Nach jedem Wort mit Schnaps gibt’s davon einen auf die Bühne“. Aber das ist nicht durchzuhalten. Der zweite Deal rettet vermutlich den nächsten Tag: "Nach jedem dritten Lied dann Prost". Und auch „saúde!“, denn portugiesische Nachbarn sind anwesend. Welch ein Glück, Menschen aus dem erklärten Lieblingsland beider Doctoren in Brandenburg zu treffen. Baumfreund Ekmel, Jimi Quickström und das ganze Gartenvolk trinkt mit.

 

Die Sausen der Doctors gehen in die verdiente Schnaufpause und nach diversen Kaltgetränken sollen es eigentlich nur noch vier Lieder sein. Doch am Ende werden es satte 16 Zugaben. Somit dürfte Joachims Gartenparty in diesem Ranking führend sein. Und auch sonst bedanken sich die Erben Pratajevs für diesen feinen Ausflug ins Teschendorfer Idyll. Es war uns ein Fest, euch auch. Das muss so sein, denn Feste soll man besuchen. Da muss man hin! Nur noch schnell an die Torte, noch den ein oder anderen Schnaps, dann nichts wie rein in die Ortspension. Doctor Makarios belegt das Kuh-Motivzimmer, Fürst Fedja samt Doctor Pichelstein bekommen es mit Katzen zu tun. Katzen auf Fahrrädern als Hinstells, als Fußabtreter, Figuren, auf Bildern, ganz kleine, ganz wilde und vor lauter Katzenzählen übermannt einen plötzlich Gevatter Schlaf.

 

  1. 02. August 2014, Hoffest/Pirna
  2. 25. Juli 2014, Treibholz, Albrechtshainer See/Naunhof
  3. 27. Juni 2014, Elbhangfest, Alte Feuerwache/Dresden
  4. 21. Juni 2014, Petersberg bei Halle/An der Waldbühne

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