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tour_tagebuch

26. September 2014, Birkholz/Privatparty

Der brandenburger Minus-Kilometer (308)


Was für ein Freitag bei herrlichem Sonnenschein, Zeit für eine Landpartie. Mit einem optimistisch anmutenden Pilzkörbchen im Gepäck brechen die Doctoren in die Heimat Helga Bauers auf. So verschollen die Erinnerung an Pratajevs gleichnamige Geliebte auch mittlerweile ist, so prächtig leuchtet weiterhin die Sonne über Brandenburg. Fürst Fedja tankt sich durch enge Gassen, schmale Wege und auch Bundestraßen, denn der Weg über die Autobahn ist laut Karte nun mal wirklich länger. Und wenn der Traktor vorm Tourauto mal doch zu langsam ist, lohnt es sich mit der Front daran kleben bleiben und aus dem offenen Wagenfenster heraus ein paar vorbeifliegende Insekten zu verprügeln.

 

Ein wunderlicher Augenöffner sind mancherorts die Entfernungsangaben auf briefkastengelben Hinweisschildern. Der Zieletappe Oranienburg scheint man beispielsweise einfach nicht näher zu kommen. Das metrische Systems Brandenburgs enthält folgedessen den sogenannten Minus-Kilometer. Stopps auf Dorfdurchfahrten erweisen sich darunter als großes Spaktakulum für die Landbevölkerung. Aber da sich die Doctors ja im Kosmos der Minus-Zeit befinden, könnte, nein, müsste es so sein, dass folgende Beobachtung in Echtzeit ein paar Kalenderabrisse vorab stattfand.

 

Das ist die, zugegebenermaßen unspektakuläre Beobachtung: Ältere, beschürzte Damen fegen vor einer Kirche Laub zusammen, ihre Männer träumen vom Wirtshaus und harken Beete. Fürst Fedja parkt den BMW halb auf der Straße, so dass sich im starken Durchgangsverkehr auf dieser zweispurigen Straße ein mächtiger Rückstau bildet. LKW-Fahrer fluchen, dem Tross ist’s egal. An warmer Abendluft wird geraucht.

 

 

Dann stehen sie da, am Wegesrand. Die ersten Pilze sind in Sichtweite. Der durch seine bestechend scharfen Rennsport-Leistungen auf der Kurzstrecke einmal mehr verehrte „Driver of the Pack“ (wie ihn Hollywood bezeichnen würde) Fürst am Steuer seines bayerischen Feuerblitzes schafft es tatsächlich, wieder in die Echtzeit zu gelangen. Pilze! Doctor Makarios hält kein Wasserfall mehr auf, es wird gesammelt, nicht gejägert, und so trudeln Pratajevs-Tourerben mit ein wenig zu sehr verflossener Zeit auf der Uhr schließlich in der Gemarkung Birkholz ein. Das Hallo ist groß, kulinarische Köstlichkeiten aus skandinavischer Küche gibt es so weit Elch und Auge um die Ecke gucken können. Die Sternenfänger Kalfei Schafowitzsch und Gattin Erna Macheta wissen eben, was lecker ist. Und dass man vor jedem Gedanken ans Schmausen stets einen Schnaps vertilgen sollte, ist oberstes Gebot. Solchem Brauchtum folgt fürwahr Forscher Eademakow als würdiger Vertreter der Landeshauptstadt ohne zu zögern. Der Teschendorf-Express vollendet die Riege der Denker, Trinker und Lenker. Baumfreund Ekmel samt Leuchtfeuer-METchen halten die Fahne des Löwenberger Landes hoch. Freudig geherzt wird Teschendorfs Sangesgott Joachim.

 

 

Kurz vor Sonnenflucht am weichgespülten Horizont macht sich Doctor Pichelstein ans Werk, muss der Bühnengrund doch langsam mal mit Inhalten gefüllt werden. Die sehkraftverstärkende, großkalibrige Sonnenbrille nützt da wenig und wird beiseite gelegt. Rastlose Kinder tollen herbei, wollen in jedes Mikrofon singen, dem heillos überforderten Gitarrendoctor helfen, spielen mit Kabelsalaten und bewundern Gitarren. Dann fällt auch noch der linke Boxenkanal aus. Verzweifelt wird ins Telefon gerufen: „SOS. Die Herren, wo sind sie?“ – „Direkt neben ihnen, gleich dreißig Zentimeter“, ruft Fürst Fedja in den kleinen Flachbildautomaten hinein. Vielleicht sind Kontaktlinsen auf Dauer keine schlechte Lösung, lieber Doctor Pichelstein. Auf Dauer, denn der Mensch braucht Fernziele, selbst wenn er sie auf kurze Sicht nicht zu erkennen vermag.

 

Dann geht‘ los, Pratajevs Weisen erklingen über Wiesen, Felder und Meisenhäuser (womit nicht die nächste psychiatrische Heilstätte gemeint ist). Pichelsteins Terrierkünste auf der Gitarre verleiten Makarios zur hurtig dargebotenen Best-of-Melange, stets begleitet von der Fürsorge Kalfei Schafowitzschs. Der Becherfüller vor dem Herrn bittet die Gattin zum Tanze. Jeder Schluck ist auch heute wahrlich ein guter Schluck. Sangesgott Joachim führt den Chor der Weisen an.

 

Mittig des Kulturbeitrages wird – es wurde aber auch wirklich Zeit – Carinina Zapfinska Guinnessoff, die „Harte Wirtin“, in die Pratajev-Gesellschaft eingeführt. Coach Brotnowaljow Numski Guinnessoff schwenkt stante pede die Gelbschnapsflasche, schon ist die Weihe in ganzer Perfektion nicht mehr zu überbieten. Und so treiben sie der lauen Sinne entgegen, die Gäste, The Russian Doctors, die furchtlosen Kinder. Fürst Fedja wird zum Grillmeister der schwarz-güldenen Kohle ernannt und am Ende der Nacht, kurz vor der berüchtigten Fahnenstange, ist wirklich jeder Tropfen ausgetrunken. So muss es sein, nicht anders, deshalb fein.

 

20. September 2014, Garbisdorf, Quellenhof/Pratajev-Sommerfest

Feste gefallen (307)


Gleich zu Anfang dieses erinnerungswürdigen Tourtagebucheintrages muss auf die Doppeldeutigkeit der Überschrift „Feste gefallen“ hingewiesen werden. Wir hoffen, dass es jenen, die sich in den mittelfrühen Morgenstunden Schotterflechten an Kopf, Knie und Kinn zuzogen, besser geht als je zuvor. Besonders in diese Wünsche einbezogen sei die Dame P. Wie gut, dass Doctor Pichelstein und Fürst Fedja zur Stelle waren, als jene Stelle im Zuge bekannter Schwerkraftgesetze nicht mehr verlassen werden konnte und sich die vielleicht etwas zu fatalistische Zufuhr von Sto Gramm-Bechern als hinterlistiges Irrwischzeugs erwies. Dieser Satz wurde extra lang gestreckt, denn der Abend war wirklich lang und dass er bis zur letzten Minute auch gelang, daran wird niemand zweifeln wollen, der am 20. September des Jahres 2014 alles stehen und liegen ließ, um beim Pratajev-Sommerfest dabei zu sein.

 

 

Nachmittags führt Gastgeber Nikolaj Plautski große Teile des Komitees auf den spätsommerlichen Weihnachtsmarkt. In einem Städtchen, kurz hinter Amerika gelegen, findet er tatsächlich, wenn auch nur für einen Tag, statt. Das Altenburger Land hält sonderliches bereit. Nichts desto Trotz bestellt sich jeder der Pratajevianer ein Tässchen Glühwein in der Sonne. Dazu gibt's eine Thüringer Roster vom Grill. Die Bauchtanzgruppe, geschmückt und bestückt wie der Heilig-Abend himself (Gänsebraten, Lametta und all das, von wegen Kartoffelbrei und Würstchen. Frevel!) lässt die Doctoren bass vor Staunen beinahe Senf aufs Hemdrevers kleckern. Ein fotogener Stopp am Bahnhof von Amerika folgt, im Örtchen weiter lockt der Süßhunger. Die Kellnerin der Kaffee-Bar fürchtet sich ein wenig vor den schwarz gewandeten Gestalten, die mit gierigen Fingern auf Tortenauslagen deuten. „Nicht, dass ich heute noch überfallen werde“, gibt sie zu bedenken. Fürst Fedjas beruhigender Sonor beschwichtigt sie während um die Sahnestund‘ herum dem Altersdurchschnitt im Café nahezu jugendliche Statistik anheimfällt. Dann auf und zurück gen Heimatverein Göpfersdorf. Die Bühne wurde bereits gerichtet, die Getränke stehen kalt, fleißiges Volk kümmerte sich derweil ums kulinarisch, russisch angehauchte Programm.

 

 

Das Who-is-Who der Pratajev-Gesellschaf, der Doctors-Freunde erscheint pünktlich zum Klassentreffen des großen Meisters. Aus Rostock, Chemnitz, Berlin, Pirna, dem Erzgebirge, aus Erfurt, Jena, Leipzig, Markkleeberg aus sonst wo her. Die Sektion Nürnberg erhält in diesem Jahr den Flüssigpreis für die längste Anreise. War der Ort des Festes, das schmucke Garbisdorf/Göpfersdorf, wegen einer gestrigen Schlammlawine nach tagelangem Regenfall noch nicht von überall erreichbar, heute scheint wieder alles im Lot zu sein. Und selbst der Satz „Hurra, das ganze Dorf ist da“ passt in die Dämmerung wie der Angler zum Fluss.

 

Fürst Fedjas Stellenbeschreibung ist eine einzige Offensive an der Schnapsbar des Quellenhofes. Schon eilt er hierhin und dorthin und wird nicht nur deshalb im zweiten Programmteil mit dem Pokal „Held der Arbeit“ ausgezeichnet. Pünktlich um 20 Uhr heißt es: Lasst die Spiele beginnen! Die „Running Order“ wurde dicht bestückt wie ein Sonnenblumenfeld im Mai. Zwischen doctoresken Musikbeiträgen, mittenmang der Satz des Moderatoren-Sängers-Vorlesers-Quiz-Masters Dr. Makarios: „Wie ist denn noch gleich der Anfangstext zur Schönen aus der Stadt“, mischen sich Videoeinspieler und natürlich bietet jedes Pratajev-Fest mindestens eine Weltpremiere feil. Vor wenigen Tagen erschien „Medizin und Fetisch“ im Verlag Andreas Reiffer. Das jüngste Werk der Forschung in der Pratajev-Bibliothek. Daraus wird gelesen, geschmunzelt, darüber wird schwer nachgedacht. Schließlich war bisher nur den wenigsten klar, dass aus dem Wort „fettig“ einst der heutzutage so ehrumwobene „Fetisch“ entstand. Mit letzten, beantworteten Pratajev-Quizfragen noch im Ohr geht’s an die Schnapsbar zum Pausenumtrunk.

 

 

Die Doctoren blasen zur nächsten Runde, am Merchstand verlieren die dicken Edding-Stifte langsam an Farbe. Natürlich! Das Festplakat des Tages sollte unbedingt andenklich beschriftet mit nach Hause genommen werden. Nikolaj Plautski eröffnet derweil die Versteigerung. Großes, staunendes Raunen durchzieht den vollbesetzten Saal. Zwei Pratajev-Malwerke „Die Trinkerin“ und „Drei Flaschen“ gelangen nach zähem Ringen meistbietend unter den Bermasik-Hammer. Niemand wagt sich hingegen an ein sogar vergoldetes Holzgebiss aus der Praxis Hermann Schädler heran. Wer allerdings jetzt „schade“ denkt, hat das Original nicht gesehen. Für den häuslichen Fensterhinstell-Gebrauch zur Straße hin eignet es sich nämlich eher weniger.

 

 

Erneut fegen die Doctoren mit Murmansker Liedern übers Parkett, reichlich gefüttert vom Schnapse. So dass die anschließende Pokalübergabe zum feurigen Fast-Abschluss des Festes kulminiert. Ehrenmitglied „Der Tierarzt“ erhält den „Wanderer“, die höchste Pokalisierung der Gesellschaft für das Jahr 2014. Fürst Fedjas „Held der Arbeit“ glänzt übers ganze Gesicht. Dem Wunschkonzert folgen Zugaben, draußen lodert in der Schale das Feuer. Doctor Pichelstein wird von der Dame P. auf die Russen-Disko-Tobefläche gebeten und legt einen knallharten Trance-Stepp aufs Parkett. Vier links, sieben rechts, 20 cm Drehung, schon sucht sich das Gleichgewicht ein anderes Organ. Man hat ja bekanntlich mehrere davon. So nimmt die Nacht Besitz von Land und Leuten. Winogradows Weisen am Feuer laden das Gefolge ein. Genesungsstrategien werden erst in wenigen Stunden beim Frühstück erörtert werden müssen.

 

Endgültig abschließend sei gesagt: Dank allen, Danke. Das war der bisher bestbesuchteste, vollste, tollste Pratajev-Gedenkabend mit allerlei unverhofften und erhofften Sensationen in seiner nun schon längeren Geschichte. Danke auch dem Heimatverein Göpfersdorf für die Einmietung in den wunderbaren Quellenhof, den Braumeistern des Bieres mit dem Leitermann auf dem Etikett sei ebenfalls ein Röslein an die Jacke geheftet.

 

  1. 13. September 2014, Halle/Turm
  2. 22. August 2014, Teschendorf/Gartenfest zum 65.
  3. 02. August 2014, Hoffest/Pirna
  4. 25. Juli 2014, Treibholz, Albrechtshainer See/Naunhof

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