Wir ackern und jodeln für Deutschland (217)

 

„Die Jodelkönigin Maria Hellwig ist tot“. Jetzt ist die Nachricht auch im Radio angekommen. Beide Doktoren erfüllt sofort tiefe Trauer, schallendes Gelächter folgt auf dem Fuße. „Jodelkönigin, so ein Unsinn“, ruft Doktor Pichelstein. Und Doktor Makarios entdeckt bereits die nächste Merkwürdigkeit des Tages. Ein großflächiges Plakat nahe Frohburg mit der Aufschrift: „Wir ackern für Deutschland – die deutschen Bauern“. Herrlich. Was das Handwerk kann („Am Anfang waren Himmel und Erde. Den Rest haben wir gemacht“), gebührt nun auch den praktizierenden Feldmännern. Da zieht man gerne den Hut, den Obstler gleich mit aus der Tasche. Und ackert und jodelt für Deutschland, dessen schönste Kurven nicht unbedingt mit dem Tourbus zu erreichen sind. Dafür aber Frankenberg bei Kälte und abendlicher Nacht. Sehr nah am Erzgebirge gelegen, wirklich sehr nah, doch zu denen will man sich hier nicht zählen. Vielleicht liegt’s am nahen Weihnachtsfest, an Schwibbögen, Räuchermännchen und Bergmannskapellen. Denn um Weihnachten herum wird das Erzgebirge mit seinen durchaus verschrobenen Kauzigkeiten allgegenwärtig. Besonders eben auf einem budenreichen Weihnachtsmarkt. Ein wahlloser Flecken Erde, den Doktor Makarios wie die Pest meidet und wer Max Goldt kennt, der weiß, dass es dafür einen Zauber gibt. Den Zauber des seitlich dran vorbeigehens. Doktor Pichelstein hingegen fühlt sich sehr zu einem einzigen Flecken Leipziger Duselei hingezogen: Ecke Galerie Kaufhof, dort gibt’s Jahr um Jahr den besten Glühwein und die leckersten Bratwürste in der ganzen Leipziger Innenstadt. Zu erkennen ist der vertäfelte Stand übrigens an seinem Leuchtturm. Wer dort steht und nippend still verharrt, möchte den kleinen und großen Sorgen unserer wohlhabenderen Studenten und Studentinnen höchste Aufmerksamkeit widmen. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Welt der Marke FDP wird einfach immer dümmer und scheinbar niemand kann das stoppen. Da ist man lieber zum zweiten Mal im ganzen Leben werktätig in Frankenberg.

 

Vor drei Jahren gab es hier, in der Feiertischlerei, bereits einen Doktoren-Auftritt und wieder heißt das holde Geburtstagskind Sanni. Um Punkt zwölf werden die Sektkorken deshalb knallen und bis dahin darf man tun und lassen, was einem so behagt. Die edel besetzte Schnapsbar austrinken, lecker futtern, sich an heiß gegrillten Würstchen laben, soundchecken, kuscheln, der Vorband lauschen, sitzen, tanzen, springen. Seitens der Doktoren geschieht dies alles mitunter etwas verlangsamt, Frau Krause lässt grüßen. Schöne Sache, großer Anlass, herrlich! An dieser Stelle schon mal: Vielen Dank für die Einladung, es war den Doktoren ein Fest und Doktor Pichelstein schaffte es gar, am nächsten Mittag den Tourbus wieder heile nach Leipzig zurückzusteuern. Was zugegebener Maßen nicht leicht war und einem spendierfreudigen Herrn Jägermeister angekreidet werden dürfte.

 

Anders als 2007 muss heute niemand ins idyllige Draußen brechen. Es sei denn ganz klammheimlich. Selbst die Wodka-Gummibärchen-Cocktails richten keinen großen Schaden an und so startet das Pratajev-Set mit allem, was es an Schnaps, Tierliedern, Landluft und Weibern gemessen, beinhaltet, schwankendschnell durch. Sogar ans „Jägerlatein“ wird sich zurück erinnert, lange nicht mehr gespielt. Und es wird schließlich der Punkt erreicht, an dem Doktor Pichelstein die Gitarre nicht mehr kontrollieren kann. Die Finger wetzen gekonnt übers Erlenholz, als gäbe es kein Morgen (rasch etwas Klebeband drauf, damit sie nicht verbluten), als sei der Titel „Doppelolympiasieger im Schnellgitarrespielen“ noch zu toppen. Der dritte Wodka hat also die Bühne in der Zielgeraden erreicht. Was die beiden Doktoren sich dortselbst dann manchmal zuflüstern, hat etwas folgenden Inhalt: „Mein Doktor, nicht so schnell…“ – „Jaja, beim nächsten Stück…“

 

 

Gebremst wird der Rausch mit einer Slow-Motion-Dreifach-Heilung; erstmals präsentiert Doktor Makarios darin die gesungene Version C des „Alten Mütterchens“, dann wird pausiert, werden die Stimmen wieder flott gemacht. Boxenstopp an der Schnapsbar. Kurven, wohin man blickt. Doch Ende gut, alles gut – die letzte Zugabe liegt lang hinter Sannis Ansprache an die Werktätigen von Frankenberg zurück und soll allen in Erinnerung bleiben. An das, was die Russian Docs auch im nächsten Jahr vorhaben, denn nach dem Ausflug an den Rand des Erzgebirges ist erst mal Spielpause bis Januar. Dann wird in Chemnitz wieder geackert. Wenn auch nicht für Deutschland und schon gar nicht gejodelt.

Am Tag als die Jodelkönigin starb (216)

 

„The Russian Doctors in Pratajevs Teehaus Protnik“ – welch eine historische Schlagzeile, doch nein. Wir sind im Leipziger Süden, in Connewitz, obwohl die Frau Krause schon stark den russischen Landen entgegen strebt. Vielleicht sind wir auch in Prag, in Žížkov, und nebenan saßen einst die russischen Offiziere vorm Wodka-Knobelbecher. Dies alles im wohlig-poetischen Sinne gemeint, denn wen es dann und wann gen Connewitz zieht, dem sei die Frau Krause in der Simildenstraße als unbedingtes Muss in den Wohlfühlnavigator hineingelegt. „Kaum fassbar, dass wir hier noch nie gespielt haben“, tuschelt ein Doktor dem anderen zu. Dann wird lecker gespeist, geraucht und auf Pratajev angestoßen. Die Bühne steht bereits und nach dem zweiten Becherovka liegt die harte Woche in Scherben. Freitag ist’s und das darf man gerne wörtlich nehmen. Prost, mein lieber Wirt, hier ist’s schön.

 

 

Vorweg genommen sei gesagt: Noch in der Nacht wird der liebe Gott die 90-Jährige Margot Hellwig aus Reit im Winkl zu sich rufen, Ehrenringträgerin ihrer bajuwarischen Heimat. Unvergessener Dirndlfrohsinn, Alpenglühen, Sex mit Florian Silbereisen und Psychopharmaka im Lackschuhversteck. Lasst uns eine Gedenkminute einlegen. Doch das geht ja gar nicht. Die Nachricht kommt erst morgen raus und geschichtsträchtig darf deshalb vermeldet werden: Als die Jodelkönig aller Deutschen starb, betrank sich ein feiernd‘ Volk in der prall gefüllten, dicht gedrängten Frau Krause und entließ zwei völlig erschöpfte Doktoren erst nach drei Stunden feinster Arbeit aus ihrem Pratajev-Set. In zwei Gruppen teilt sich besagtes Volk: in jene, die vorwiegend gelben Schnaps verkonsumieren und in jene, die den Rest der Getränkekarte kippen. Und natürlich ist da noch Baumfreund Ekmel, angereist aus der brandenburgischen Heimat Helga Bauers, heute mit einem leichten Hang zur Zurückhaltung versehen. Denn tags drauf, um neun, muss er auf die A9 und Freitag ist morgen leider nicht angesagt.

 

Nahezu furios jagen Makarios und Pichelstein die Feldmänner, Angler, Ratten, Biber, Katzen usw. durchs Haus. Ein erster, noch schüchterner Schnaps wird galant aus Richtung Merchtisch gereicht. „Aha“, denkt sich da der schwarze Tanzblock zur Linken, „So geht das also.“ Schon fließen die Tablettpinnchen mit dem Feuerwassser bühnenwärts. Zur Belohnung wird erstmals „Jeder Schluck“ in der tragischen Version gespielt. Mit waschechtem Aaaa,ahhh,aahh-Arrangement in den sonst so gitarrenlastigen Mittelteilen. Da bleibt keine Kehle, kein Auge trocken und später sind die Schnapsflaschen derart leer, dass nur noch Eierlikör die Bestände sichert. „Alle Schnapslieder nochmal“, wird verlangt. Gesagt, getan. Geburtstag hat dann auch noch wer und schwer werden die Beine, die Arme, so schwer, dass beide Doktoren gegen Ende des Abends nur mehr sitzen können. Auf Stühlen aus Holz, vor Knobelbechern, Pratajevs Werk verteidigend und wissbegierigen Studenten näher bringend. Der Vorstand der BSG Chemie steht Pate. Was für ein Abend, was für ein Morgen. Frau Krause macht’s möglich. Hoffentlich immer wieder.

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