Hinten Stiefel, vorne Sneakers (286)


Was für ein Aufruhr gleich zu Beginn des 2. Dresdentages. Der Pratajev-Tross, in letzter Frühstückskonsequenz noch am Buffet des TU-Gästehauses gelandet, hat schwer unter der Herbergsmutter zu leiden. Doctor Pichelstein rutschen gar Halbsätze wie: „DDR-Brauchtum in Sachen Dienstleistungsfreude“ über die Lippen. Aber nun, was hilft es? Brav werden Anmeldeformulare nach-ausgefüllt. Jede Frage nach einem neuerlichen Tässchen Kaffee, jede Apologie darunter vermieden und das Wehklagen der barschen Mutter („Jetzt muss ich diese ganzen Sachen noch in den Computer eintippen“) gebückt zur Kenntnis genommen. Nichts wie weg hier, in den Regen, ins Taxi. Das rief die Putzfrau und die hatte das Herz auf dem richtigen Fleck. Ein Lob an dieser Stelle an die, wie man so schön sagt: Gute Seele des Hauses.

 

 

Auf dem Parkplatz des Lingnerschlosses angekommen sieht Fürst Fedja derweil alle Felle davon schwimmen. Ein einziger sich noch in vermeintlichem Besitz befindlicher Autoschlüssel wird gesucht. Taschen dabei aufgerissen, Schweiß vergossen, das Mütchen darunter bereits an sich selbst gekühlt, taucht der Schlüssel plötzlich wieder auf. Fundort: rechte Lederjackentasche, ganz oben, dort, wo sonst nur kalte Zigarrenstummel schlafen. Noch einmal Glück gehabt. Auf geht’s zur großen Schlösserfahrt mit dem Elbedampfer. „August der Starke“ wartet bereits. Die Tickets gelöst, verbotenes Spatzenvolk beim Spiel mit Senf und Bratwurst gefüttert. Nichts wie aufs Oberdeck, zu Graulocken, einer Schulklasse aus Kärnten und natürlich einer Rotte biertrinkender Ergo-Versicherungsreisender, die lange schon nicht mehr nach Budapest in den Puff dürfen. Oder ist das hier einer? „August der Starke“? Man will es gar nicht wissen. „Leinen los“, ruft der Minijobber am Steg. Zeitgleich legt der Salon-Schiffs-DJ eine Kassette ein. So erfahren die Flussfreunde aus erster Hand, was sich hinter den feilgebotenen Panoramablicken geschichtliches verbirgt. Und zwar auf Deutsch und einer Art Telefon-Sex-Englisch Marke Volkshochschule für Fortgerittene (O-Ton: „August the strunk“). Nur, dass Gräfin Cosel eine „bitch“ war, bleibt leider Gottes unerwähnt. Hin und zurück, Elbe runter und Elbe rauf. Viel gibt es zu schauen. Am linken Rand etwa „August den Schwachen“, mit letzter Kraft den Hosenstall öffnend. Dann lässt er es fließen und Mutti ist 300 Meter voraus, passiert einen einsamen Angler, der gerade mit depressiv-mürrischem Gesicht einem kleinen Fischlein am Haken die Freiheit schenkt. Fürst Fedja tauft ihn "Nemo".

 

 

Am späteren Nachmittag parkt der randvolle BMW bereits am heutigen Spielort, der Alten Feuerwache. Ein Fluthilfe-Benefizkonzert steht auf dem Programm. Das spielt sich sehr gut, wenn die Bäuche vollgeschlagen sind. So beginnt sie, die Suche nach einem Lokal, einem Freisitz, einem Restaurant, einer geöffneten Bäckerei und draußen gibt’s nur Kännchen. Mit jedem Meter schwinden die Ansprüche. Außerhalb des Elbhangfestes scheint hier wirklich tote Hose zu sein. Das einzig geöffnete „Kaffee Wippler“ am Körnerplatz sieht von draußen betrachtet so aus, als wären mindestens zwei touristisch angehauchte Busladungen darin. Auf der Suche nach dem heiligen Autobahngral, sprich: dem Klo. Also weiter, immer weiter. In Elbenähe keimt Hoffnung. „Freisitz geöffnet ab 15 Uhr“ steht hier und dort in subversiver Publikumsverhöhnung. Es hat wohl wer vergessen, die Schilder abzumontieren. So wird geraucht und auch ein wenig geflucht. Bis in letzter Konsequenz im „Wippler“ ein winziger Tisch frei wird. Ein winziger Tisch, auf dem sehr bald zuvorderst riesige Kaffeekübel, allerdings ohne greifbare Henkel am Rumpf Platz finden. So sieht sie aus, die Kunst beim Mäusemelken. Und weil es unisono von der Maus bis zur Katze nur ein kurzer Sprung ist: An den Laternen werden nicht nur passiv-aggressiv dreinschauende Politiker dem Wahlvolk präsentiert. Nein, per Steckbrief wird gar nach einem Kater gesucht. „Hinten Stiefel, vorne Sneakers“, so steht es auf dem Papier, daran mag er wohl zu erkennen sein, der gestiefelte Sneakers-Kater. Ein Sammelstück, rasch eingesteckt. Denn Doctoren sammeln solche Kopien und das ist eine Tugend.

 

 

Glücklicherweise bietet die Feuerwachen-Entourage leckere Brötchenhälften feil. Der Regen verzieht sich langsam, muss er auch, denn heute wird Open Air gespielt. Ganz schön gewagt, aber nun, anders geht es nicht. Unter ersten Bechern Tannenzäpfle lassen sich die Doctoren die Nach-Hochwasserlage an der Alten Feuerwache erklären. Hört sich beileibe nicht sehr gut an, doch es wird zu schaffen sein. Wir wollen es hoffen. Böse Elbe, mach das nie wieder! Ja und dann fallen die Pullover, wird die Bühne mit Gerätschafen, Sangesfreuden und Gitarrenklängen bestückt, kann es eigentlich bald losgehen, doch das Publikum ziert sich noch und denkt heute dreimal drüber nach, an den nasskalten Elbhang zu gelangen.

 

Dann trudeln sie alle auf einmal ein, die Dreifachdenker, die lieben Menschen aus Pirna, Dresden, Leipzig und Umgebung. Hinten Stiefel, vorne Sneakers. Das Konzert startet mit voller Wucht, selbst sehr jungen Ärztinnen ist jetzt nach einem Weingelage. Angehende Bildungshungrige verorten das Gedeihen und Verderben von Mangos und Bananen jetzt auch nach Berlin. Der Vodka kreist, rund um den Merchstand trifft sich das Gelage und als der letzte Ton, die letzte Schnapsbar im Pogotanz verklungen ist, dürfen auch die Doctoren Makarios und Pichelstein pausieren bis Schlag Mitternacht, bis die Schnapsbar schließt. Gerne hätte man noch in den Körnerstuben weiter getrunken, doch der Elbhang ist, wie er ist, so ohne Elbhangfest. Doch wen schert das, rauf in die Kammern, wo ein letztes Getränkelein das Abenteuer Dresden für heute beschließt.