Der bebrochene Doktor (260)

 

Du liebe Güte. Leipzigs größte kommunale Unternehmen, Stadtwerke wie Verkehrsbetriebe, plakatieren: „Sorry, Dresden. Schade, Chemnitz“. Denn nur der hehre Leipziger vermag es, in Besitz einer so genannten „Immer.Besser.Leipziger-Vorteilskarte“ zu gelangen. Er hat dafür ein Abo abzuschließen. Dafür bekommt er Service und Rabatte. Im Kletterwald, Vergnügungspark, bei Karstadt. Also überall dort, wohin man so geht, wenn man es ausdrücklich muss, die Auswüchse urbaner Misanthropie noch in den Kinderschuhen stecken. Eigentlich könnte es, um nur die LVB beim Namen zu nennen, heißen: „Sorry - der Fahrkartenautomat nimmt nur passend“. Oder: „Schade - der Fahrkartenautomat ist hübsch anzusehen, funktionieren wird er nicht“. Warum die Straßenbahnen hierzulande nur „gelbe Schneckenschubsen“ genannt werden, lässt sich zudem erahnen und Doktor Makarios belehrt seinen Gitarrendoktor mit folgender GDR-Weisheit: „LVB und Post saufen wo’s nichts kost“.

 

Im Chemnitzer Flowerpower gibt’s erst mal ein Conrad-Hoffmann-Gedächtnis-Schnitzel. Es überragt den Tellerrand, überdeckt Gemüse wie Kartoffeln. Noch sind die Kellnerinnen wieselflink. Noch, denn im Verlauf des 260. Konzertes der Russian Doctors wird ihnen bereits in wenigen Stündchen die Puste ausgehen, böse Zungen werden gar am Folgetag behaupten, es habe ihnen jemand Valium (statt Antriebspulverisierung) ins Glas getan. Dann steht er plötzlich da. Wie aus dem Nichts. Pratajev-Film-Darsteller Andreas Krause. Aus dem Schweizer Exil angereist; mit ihm füllt sich wenig später das Rund aus lieben Menschen aller Himmelsrichtungen. Erstmals, und das ist wahrlich eine Premiere, gibt’s Subway-Uwe an diesem Ort zu erleben. Allerdings ohne Knoblauchschnapsbewaffnung. Wer weiß, was unter solch ergänzend konsumierten Einflüssen weiterhin geschehen wäre. Denn was die Überschrift dieses Tourbuches hergibt, wird sich kurz nach Konzertende tatsächlich abspielen: Ein Doktor wird bebrochen werden. Draußen vor der Tür. Harmlos wollte er, Doktor Pichelstein, Nachtluft in sich aufsaugen, wenig später wird ihn ein am Boden liegender Gast bebrechen. Gut nur, dass der Schnaps den armen Brecher tieferlegte. So wurden lediglich untere Hosenbeinpartien in Mitleidenschaft gezogen. Blöd letztlich aber auch, dass keine Frauen am Fluss sich der Misere, aus bekannten, pratajevschen Gründen, annehmen konnten.

 

 

Zuweilen am Merchstand: Russian Doctors meets Geocaching. Eine allerliebste Vertreterin der "Feldrandsteher" samt "Team Kimo" verblüfft Makarios und Pichelstein mit einem ausgefallenen Vortrag. Es gibt eben nichts, was es nicht gibt. Schön ist’s zudem, sich (vor allem im Privaten) derweil einen passenden, pratajevschen Namen zu verleihen. Dann darf sie starten, die Kulturdarbietung. In Chemnitz. „Sorry, schade Leipzig“ ruft der innere Kreml-Parteitag reich an Flüssignahrung und Adrenalin. Noch wenige Male wird das seit 2010 ins Publikum gespeiste Intro aus den Boxen tönen; zur Tour 2013 gibt’s nämlich viel, sehr viel neues. Und so stampfen die Feldmänner durch die Weiten Russlands, während den Mädels an der Bar spätestens jetzt, beim Lied „Jeder Schluck“ schwindelig wird. Bereits beim Pausentrunk die Türsteher einigen Nachrückern erklären: „Alles voll. Vorsicht draußen. Da liegen überall aufgeklappte Gehwege herum“. Wenige Augenblicke später gar Doktor Pichelstein den Erlenholzturbo einlegt, Doktor Makarios erstmals dazu livehaftig singt: „Der Saft troff aus meinem Munde / Denn es gab frohe Kunde / Der Nachbar schlachtete ein Schwein / Und lud das ganze Dorf jetzt ein / Ich sagte ihm: Das machst du gut / Im Kessel dampfte schon das Blut / Im Ofen buk der Schweinekopf / Der Saft mir aus dem Munde troff….“

 

Einige Gitarren-Fingerpflaster darauf folgt der Wunschteil und natürlich gibt’s den „Tierarzt“ - ist ja auch mindestens einer anwesend (wäre schlimm, wenn nicht). Vor der Bühne spielen sich schöne Szenen ab; ein Professor beugt sich ans Ohr vom Doktor Makarios, fragt: „Darf man zu Eurer Musik auch tanzen?“ Man muss sogar; die anderen tun’s ihm gleich. Junge Burschen, sehr junge Schwesternschülerinnen. Bilder verschwimmen mit den Gelbschnäpsen, die glücklicherweise ausreichend gen Bühne gereicht werden. Fettfrösche, Schnäpse, Weiber und so weiter bilden den Abschluss. Dann findet man sich wieder. Hier und da und die Miloproschenskojer Wirtsleute danken der Gemeinde Oelsnitz für das Herbeiführen einer dosierten Großspende aufs Äußerste! Auf zur Schnapsbar, kurz an die frische Luft. Mal schauen, ob das Folgen haben könnte.