Tschechische Liebe ist Gulasch (494)

 

29 Stockwerke hat das Chemnitzer Congress Hotel, im 14. und 15. sind die Docs einquartiert. Damit niemand aus den Fenstern hüpft, lassen sie sich nur einen Spaltbreit öffnen, die Flurbalkone sind komplett verriegelt. Sprangen denn einst ohne derlei Maßnahmen viele Menschen nach unten? Reisten extra dafür an? Wurden berühmt für Chemnitzer Fensterstürze wie einst und mehrfach in Prag? In der bildhaft ausgestellten Lobby-Historiensammlung ist darüber nichts in Erfahrung zu bringen. Nun denn. Wer jedenfalls beim niederträchtigen Tabakverbrennen im Zimmer erwischt wird, zahlt 500 EUR Strafzoll, so die stahlharte Warnung. Also muss jedes Rauchopfer mit langen Fahrstuhlreisen begangen werden; erst am nächsten Morgen wird den Doctoren gewahr, dass es Nahe des Frühstücksrestaurants, in der 26. Etage, geheime Wege zu einem aschenbecherreichen Balkon gibt. Na wunderbar. Hier das Panorama: 

 

 

Gefrühstückt wird mitsamt des gestrigen Vorbereitungskomitees, mit Paschka Parlierowna und dem Veterinär. Es mundet bei bestem Service. Wer prima im Slalom ist, schafft es besonders kaprizierte Gäste am Buffet, an der Kaffeekuh-Maschine hinter sich zu lassen. Dann: Taschen packen, ins Auto damit. Pichelstein startet den Motor, rauf geht’s auf die Autobahn Richtung Dresden, Bautzen, zur Stauverhinderung teils durchs Land der (dämlicherweise freien) Sachsen. Fernziel ist das Lausitzer Bergland, im äußersten DDR-Zipfel verortet, genauer: die Kulturfabrik Lina Koch in Ebersbach-Neugersdorf. Nahziel sind ein paar Einkäufe in der tschechischen Nachbarschaft, vor allem aber ein leckeres Gulasch, wird doch der heutige Abend ein kulinarisch-veganer sein. Wer möchte das schon? Eben. 

 

Problem: Wer sich in der Gegend nicht auskennt, wird lange brauchen, um auf eine gute Gulasch-Lokation zu treffen. Kilometer um Kilometer durchfahren die Docs endlose Waldgebiete, erreichen Kleinstädte wie Jiříkov, Rumburk. Hineinfahren geht nicht, überall scheinen heute Feuerwehrfeste für Kinder und spätere Brandstifter zu sein. Ganze Straßenzüge sind deswegen gesperrt. Pichelstein schmollt, der Magen knurrt, Makarios verbreitet wie eh und immer Hoffnung. Vor jeder geschlossenen Spelunke, die nach und nach angesteuert wird. Denn ein Navi sagt einem nicht, warum eine Stätte wegen was auch immer geschlossen ist. Es stellt fest, dass geöffnet ist. Und irrt vorzüglich. Man hört es fast kichern. Dann! Oh Wunder! Makarios explodiert: „Fahr links ran, scharf rein, bremsen, mein Doctor!“ Rettung, ein Holzhaus, Schirmchen und Bänke stehen unter der Sonne, eine heilsbringende Kellnerin grinst übers gute Gesicht. Gulasch, tschechische Liebe, frisch gemachter Palatschinken mit Erdbeermarmelade an Sahne. Gerade zur finalen, rechten Zeit. Alles: "Wie Sie winschen". Mit dreifachem i.      

 

 

Herrlich satt, aufgefüllt mit Kippen, Getränken wird anschließend Quartier in der Pension Spreequelle in Neugersdorf bezogen. Die gestrenge Herbergsmutter begrüßt die Docs, weist auf das Schuhverbot im Umgebindehaus hin, führt anschließend (auf Socken) ins Doppelzimmer 2 und dann, wie schön, wird heftig mit dem Raucherareal plus Fernblick auf eine der nahen Spreequellen angegeben. 

 

Leichter Regen zieht auf, ein ferngrummelndes Wetterleuchten folgt, abwechselnd kommt wieder die Sonne durch. Zwischendurch ist es diesig, klingt schöner als bewölkt. Eine willkommene Abwechslung, mündend im knackigen Mittagsschlaf. 

 

 

Gegen 18 Uhr treffen die Docs am Open Air-Areal der Kulturfabrik ein. Die ehemalige Textil-Industriebrache an der Breitscheidt-Straße, geschichtlich auf Helene Lina Koch (als zeitweise Besitzerin) zurückzuführen, kulminierte in den letzten Jahren zu einem Kultur-Hotspot. Motto des heutigen Konzertes ist das seit gestern laufende Festival „50 Stunden“ – Musik – Feiern – Freude". Geladen sind neben den Docs noch Lizard Pool und zwei weitere Bands. Wie auch Gäste, die sich am Ende alle kennen werden. Hervorzuheben sind deutlich sechs Doctors-Getreue; Berlins Eademakow führt den Reigen an. Danke an dieser Stelle für die verkorkte, gebrannte Marille. 

 

 

Kaltgetränke fließen, Friends of Rosenthal beglücken in bester Razzia-Manier das Rund, Hunde bellen, als 2. Act dürfen – nach einem Line-Check - die Docs ran: Da hält der Wind den Atem an! Keine Kappe bleibt trocken, keine Katze am Baum, kurzum: Ein rasantes Stundenkonzert ufert im Zugabeblock aus. Und da niemand bis zur letzten Weise einen Wodka zur Bühne trägt, wird die finale Schnapsbar sehr traurig, bewegend, ja äußerst langmütig gezupft, gespielt, besungen.

 

Nass wie zwei Otter verlassen die Docs die Bühne, machen Platz für eine Emo-Grunge-artige Formation, deren rekordverdächtiger Soundcheck die nächsten Stunden prägen wird. Der sehr viel spätere Aufritt der Lizards wird den Docs erst auf dem Balkon der Pension Spreequelle feilgeboten. So gegen Mitternacht beim A-Ton-Geschepper einer imaginären Kuhglocke. 

 

 

Fotodank: Paschka P., Vince