Das nachgeholte, nicht 482., sondern 450. Konzert 

 

Nach einer Rundumführung übers Solawi-Areal geht's heimwärts. Vollgepackt mit feinsten Ernte-Erzeugnissen. Vom Kürbis über die russische Gurke bis zur Marmelade. So wünscht man sich das als reisender Musikus. Ein tolles Konzert liegt hinter einem, überschwänglich: der Jubel, famos: all die Menschen, unweit: die herrliche Herberge. Man wurde liebst umsorgt, bestens verpflegt. Und das nächste Konzert liegt vor einem. Heute ist die Frau Krause in Leipzig dran.

 

Auf der kilometerlang, radikal eng-verbaustellten Autobahn, gerät Pichelstein gehörig ins Fahrerschwitzen. „Mut tut gut, wenn Mut Gutes tut. Nur Mit. Mut tut tut“, säuselt sich der geschwächte Gitarrenterrorist selbst zu. Als würde ihm eine geschiedene, evangelisch-lutherische Pfarrerin im Podcast-Nacken sitzen, Margot Käßmann vielleicht. Im Zwiegespräch mit dem mahnenden Dickdenker Eckart von Hirschhausen. Oh Gott. „Schneller, du musst das Kaugummi schneller kauen“, rufen sie von der Ohrenkanzel. Keinen Deut anders ist es gemeint! Sozius Makarios erkennt die brenzliche Situation und beruhigt: „Nur noch 15 Kilometer Betontunnel, dann hast du wieder freie Fahrt, mein Doctor. Noch 12, 10 …“

 

Abends trifft man sich an der Frau Krause wieder. Eigentlich war ein fulminantes Open Air im Biergarten angedacht, doch der Herbst lehnt den Indian Summer rigoros ab. Es stürmt bei knapp über 10 Grad, es nieselt. Da ist jeder Hund froh, wenn die Gassirunde rasch vorbei ist.

 

Nichtdestotrotz wird das 450. Konzert nachgeholt. Einst sollte der Meilenstein in Dresden, im Café Rausch, verbunden mit einer reich bebilderten Pratajev-Präsentation, über die Bühne gehen. Was nicht klappte, weil ein später Corona-Zonk der Lage den Stecker zog. Einige fragten später nach, wo das Tourtagebuch mit der Nummer 450 geblieben sei. Sie wurden bis heute vertröstet. Wo das 500. Konzert zum Greifen nahe ist. Da ist doch mal wieder ein T-Shirt fällig, das sich allemal besser verkaufen lässt, als ein regalfüllender Doctors-Brockhaus mit 500 Tourberichten drin.

 

Nun denn. Die Bühne steht, alle Ratten hängen. Der mit opulenten Kaltgetränken begangene Soundcheck ist ein Klacks, zu den schöneren Gepflogenheiten gehört nun das Auftischen der Frau Krause-Schnitzelteller. In der Küche hört man den Koch bei der Arbeit. Er klopft die Schnitzel. Es macht Bambambam. Skinny Puppy, Ministry oder Nine Inch Nails auf den Ohren.  

 

 

 

Während die Docs am Krause-Cheftisch mit Peter und Susann speisen, füllt sich brodelnd die Gastwirtschaft. Das ist nicht nur herrlich anzuschauen, nein, es sieht (jedes Mal) so aus, als würden die Menschen in großer Zahl heimkommen. Von der Schicht, aus dem Stadion, dem Garten. Von Weltraumreisen. Denn sie wissen: Auf dem Heimatplaneten Krause ist das Leben sehr angenehm. Niemand hier grätscht in den stillen Glanz des Daseins hinein. Den man sich fürwahr hart erkämpfte.

 

 

Die Pratajev-Fraktionen aus Lichtenstein, Karl-Marx-Stadt, Markleeberg trudeln ein. Sogar eine sektorgetreue Abordnung des VgP (Verbund gemeindenahe Psychiatrie) ergattert einen Tisch. Pascha Parlierowna ist am Start, hat (wie oft und gerne) Geschenke dabei. Heute sind es zwei XXX-Dosen Russenbier, erstanden auf einem Berliner Markt. Lieben Dank dafür! Auch für den Becherovka nach den Schnitzeltellern. Lang kann’s nicht mehr dauern, dann heißt es im Rund: „Wenn die Blätter fallen / steigt aus allen Gallen / eine bösartige Substanz“.

 

Gesagt getan, noch rasch die Lead-Gitarre durchgestimmt, auf die Plätze, fertig: „Schwermut im Herbst“. Makarios nimmt die Zügel in die Hand und führt die Wagen ostwärts. Hinein, in die tiefen Weiten Russlands. Wo das Landleben den Fetisch küsst und mancher Wodka aufs Leben, die Familie, den Opa und die Oma getrunken wird. Aber nie auf die Politik! Lieber auf „1.000 Nudeln“, auf das „Lob des Schweins“ (heute mit Roland-Kaiser-Medley), auf den „Löffel aus Holz“. Kurzzeitig setzt vor lauter Ehrfurcht gar die Pichelinator-Gitarre aus. Zu schnell gespielt, zu viele Vibes fürs Mischpult. Das kann schon mal passieren.       

 

 

 

Schnapsbar! Pause! Die Fitnessgranate von Barmann gibt, die Durstigen nehmen. Doc Pichelstein hockt in der Ecke und dünstet - weiterhin hustengeschwächt, gedopt (wie gestern) - vor sich hin. Jemand reicht ihm einen gelben Schnaps. Durchpusten. Aufblähen wie ein Kugelfisch. Nach einem vorgezogenen T-Shirt-Wäschewechsel geht es wieder.

 

Time is Monkey, los geht Runde zwei. Beide Docs vergessen darin gleich zu Anfang den Mittelteil des „Wanderers“. Nach diesem Lapsus beschließt Makarios einen Schnaps-Cut. Pichelstein, die tickende Gitarren-Wundertüte, schenkt sich Bromhexin nach. Fehlerfrei rast der Pratajev-Express dem „Gärtner“ entgegen. Tierlieder folgen, die Krause-Bande ist textsicher hart am Start. „Tote Katzen“ machen Refrain-Überstunden. Sehr schön! Für solche Erlebnispark-Momente macht man all das.

 

 

 

Mit Schnapsbar Nr. 2 soll der Drops gelutscht sein, doch denkste, denn Doctors-Konzerte sind keine Sprints, sondern ein Marathon. Ein (ehrlicherweise) sehr schneller Marathon. So wird fleißig auf Publikumszurufe eingegangen, tanzt der „Gelbe Fettfrosch“ zur „Tasche“, die „Löcher im Strumpf“ zur „Alten Henne“. Bis wirklich nichts mehr geht und erlösender Dosensound aus den Boxen zischt.

 

Letzter Shirtwechsel Pichelstein, Bühne abbauen, Sa Sdorówje hier, Prost da. Bis irgendwann der Taximann Pratajevs Erben heimfahren kann. Durch nächtliche Gestade, wo menschliche Welpen, Caps mit dem Schirm nach hinten, rotzevoll durch die Straßen torkeln.

 

 

 

Fotos: Pascha Parlierowna, Seb