Oberste Schublade, Barbie und Ken (473)

 

Ein Warmluftvorstoß trifft Leipzig! Anfang April, an einem Samstag, du liebe Güte. Direkt aus Afrika. Mit leichtem Saharastaub, das volle Programm. Narzissen und Krokusse recken die Köpfe gen Mittagshimmel. Caspar David Friedrich und Vincent Van Gogh hätten in einer ADHS-artigen Handlung zum Pinsel gegriffen. Makarios und Pichelstein fahren dran vorbei. Das erste Ziel des Tages ist ein Stopp beim noch nicht fernreisefähigen Bulbash-Patron Frank The Tank. Scheppernde Kartons werden geladen, darin flüssiger Goldstaub der Pratajev-Kunst. Die Stadt ist hemdsärmelig auf den Beinen. Mancher ist mit seinem Kompass völlig außer Kontrolle geraten und mietete sich einen Wegwerf-E-Scooter mit Straßenzulassung. Dass die Leute darauf wie behelmte Erdmänner mit Hexenschuss aussehen, geschenkt.

 

Nun auf zum Stadtrand, Navi-Zieleingabe: Rostock. Auf zu den Nordis, von lauteren Motiven mit Superbenzin betrieben zur A9-Auffahrt Leipzig-West. Ein edler Sänger und ein Kampfsportgitarrist wollen an die See, wollen endlich beim Pinkeln aufs Meer starren … nein, schadhafter Unsinn! Endlich steht wieder Rostock im Tourkalender, Leinen los, Fuß aufs Gaspedal mit nur einem Hinter-Berlin-McDonalds-Stoppanreiz. Der hat es diskussionsreich in sich. Jahre später noch werden sich die diensthabenden Systemgastrokräfte daran erinnern. Intelligenz ist ein schnelllebiges Geschäft. Here we go.

 

Doctor Makarios bestellt im sanften Vorschlag-Hammer-Modus einen kleinen Kaffee mit kalter Extra-Milch im großen Becher. Drei Dinge zugleich, alle abseits der Karte. Die folgende Szene gleicht den fünf Sterbchenphasen nach Kübler-Ross. Phase 1: Nicht-wahrhaben-wollen („Kalte Milch?“ – „Der Kaffee ist schon heiß genug.“). Phase 2: Wut („Im großen Becher?“ – „Dann schwappt nichts über.“). Phase 3: Verhandeln („Aber mit warmer Milch!“ – „Nein, mit kalter.“). Phase 4: Depression („Das hat hier noch niemand bestellt.“). Phase 5: Akzeptanz („Sechs EURO“). Weiter geht’s, immer weiter. Bis Rostocks Stadtautobahn Pratajevs Erben grüne Wellen gönnt und der Tourgolf vorm Hafenkontor geparkt wird.

 

Ah! Möwen schreien, die schwere See ist nicht fern. Liebe Menschen begrüßen, darunter Rostocks besten Ostseerock-Bühnentechniker und den Chef vom Dienst selbst, Maestro Frank Schollenberger. Vom Mainpoint-Männerchor „Möwe und die Ölmützen“ ist Gitarrist Lothaar am Hansa-Start, Sir Leiche reicht Pichelstein ein erstes Abendsonne-Hafenbräu. Anschließendes Motto: „Lass die leere Flasche frei, nimm dir eine volle.“ Makarios ist gedanklich schon beim Rum-Tonic. Alles in allem: Ein Schwall guter Gefühle regt sich, alle Farben des Regenbogens sind dabei.

 

 

 

Rein ins Bühnenaufbau- und Soundcheck-Vergnügen. Wo sich der gegenüberliegende Einzug ins prizeotel Rostock-City, einem Hartplastik-Etablissement, in dem es Barbie und Ken gewiss gefallen hätte, noch aufschiebt. Apropos Barbie. Die hätte sich - allein wegen der vielen Wellenspiegeln und eines rosa Waschbeckens im Zimmer – vor lauter Freude darüber einen Happy Landing Strip in den Intimbereich waxen lassen.

 


 

 

Kaum ist das letzte Checklied verklungen, öffnet sich die Tür für Pi-mal-Daumen 120 Menschen. In wenigen Minuten ist der Hafenkontor proppenvoll. Nacheinander treten sie ein, in die Weltpremiere der ersten Bulbash Masters außerhalb Leipzigs. Ist ganz einfach: Konzertkarte untern Scanner halten, zack, Bulbash in der Hand, wohlig bekommt’s. Rasch weiter zur Bar, denn Durst macht keinen Spaß.   

 

Die letzthin hoteleingecheckten Doctoren mischen sich unters Volk, es ist ein Genuss. Wiedersehensfreuden rauschen wie Wasserfälle durch Köpfe. Mit Gedankenkraft bereits auf der Bühne, live noch in der Abenddämmerung verharrend. In genau diese Stimmung platzt das Intro. Los, rein und rauf geht’s. „Da hält der Wind den Atem an.“

 

 

 

Wie zuletzt immer gibt’s keine Setlist. Die Docs lassen eine Sturmflut nach der anderen vom Stapel. Unter Mitsinggarantie, keine Experimente, nur die guten Pratajev-Hits finden sich im ersten Block wieder. Von der „Schönen aus der Stadt“ bis zum „Löffel aus Holz“, den Berlins Eademakow stante pede in die Luft reißt. „Oberste Schublade“, raunt bereits jetzt eine Ölmütze zur anderen. Die erste „Schnapsbar“ preist die Pause an, die Bar-Crew gerät mächtig ins Schwitzen. Pichelstein nuckelt am Hafenbräu, Makarios deckt sich mit Drinks ein.

 

Weiter geht die Weltumrundung der guten Bulbash-Laune. Noch mehr Hits, es geht auf Wanderschaft mit dem „Käferzähler“, der „Schwimmerin“, dem „Satten“, dem „Wanderer“ und wie sie alle heißen. „Tote Katzen im Wind“ wird beinahe komplett dem Kontorpublikum überlassen, Mikro in die Menge, aus eigentlich fünf werden zehn Refrainminuten. Mit der „Ratte“, mit dem "Biber" läuft es nicht anders, Rostock bleibt heute einfach Zauber. Je mehr Zunder unter der Gitarre liegt, desto lauter die Rufe: "Pichelstein!" Volle Tabletts werden auf die Bühne geladen, ein Schluck auf die Seligkeit, einer aufs Meer, einer auf Hansa, einer auf die Piranhas, einer auf die nächste „Schnapsbar“.

 

 

 

Zugaben. So viele wie nie in Rostock. „Der dumme Nachbarsjunge“, „Männer die am Feldrand stehen“, „Der Impfer“, „Tasche“ und was noch alles. Schon will Pichelstein die allerletzte „Schnapsbar“ anstimmen … doch nein, so geht das nicht! Makarios rückt die Lage mit „Geh heme meine Kleene“ sächsisch ins Licht. Danach: ein einziges, glückliches Schnaufen und Pusten, Pichelstein unterm Frottee-Handtuch, Umarmung, das war’s, mehr geht nicht.

 

 

 

Danke! Was für ein Tag, was für ein Abend, was für eine Nacht. Was für liebe Menschen, beste Glückstherapie mit Depot-Wirkung. Mit abschließendem Rum-Tasting im leeren Saal. Bis zum nächsten Mal und Jahr. Mit der Hand zum Gruße an alte Zeiten, in denen Pratajevs Diamanten aus Kometen entstanden.   

 

PS: Reisegruppe Sizilien, wir wären gerne mitgeflogen

PPS: Rosa Waschbecken im Hotel:

 

 

 

Fotodanke: Frank Schollenberger, Mathias Kruse, Mathias Tietze, Rosa Waschbecken: Pichelstein