Die belgische Gitarre (236)


Während die Schnelle Musikalische Hilfe (SMH) der Russian Doctors an diesem katholischsten aller Donnerstage seit langem versucht, Chemnitz trotz aller Widrigkeiten zu erreichen, hat der heilige Vater aus Bayern und Rom seine Bundestagsrede bereits hinter sich. „Wo Gott ist, da ist Zukunft“, jubeln Christen und Perser gleichermaßen. Was hilft’s? Das Frohburger Dreieck verschließt sich mal wieder jedwedem Reiseverkehr, heißt: Umleitungen folgen, die keine sind. Denn spätestens in Geithain fällt auf, dass es lokale Buntmetalldiebe neuerdings auch auf mobile Verkehrsschilder abgesehen haben müssen. Merke: arme Gegend, viele Strauchdiebe und natürlich Tempoblitzer. Doktor Pichelsteins Budget sieht (nach dem letzten, rasanten Tourwochenende) diesbezüglich keinerlei Spielräume mehr vor, also: gerecht fahren. Außerdem teilen weder Doktor Makarios noch Doktor Pichelstein die sagenumwobene Fantasie, einem Herrn und Schöpfer entgegentreten zu wollen – gewiss konträr zu den Todessehnsüchten, pfeilschnell überholender Landbevölkerungsgruppen. Warum auch sonst rammte man so manches Kreuz aus Obi-Holz für die Hinterbliebenden an den Straßenrand?

 

Endlich am Flowerpower angekommen. „Jeden vierten Donnerstag im Monat wird dem Soul, R’n‘B, Reggea und Ska aus der großen Zeit gehuldigt. Live werden heute die Russian Doctors aufspielen (…)“. Stadtmagazine sind manchmal schon ankündigungswert interessant; sämtliche Facebook-Einträge darüber spielen Verwunderung herbei. Ob nun R’n‘B für Russland und Belgien stehen möchte? Oder wenigstens eine belgische Gitarre im Besitz des Pichelstein ist? Da postet Doktor Makarios sehr gerne zurück: Na selbstverständlich! Nur spielt der die nicht, weil die viel zu wertvoll ist. Schon Anatoli Prumski sagte, "Hätt ich eine belgische Gitarre von Frans van Gitarrenhals, dem s.v. jüngeren, ich bräuchte nicht mehr spielen".

 

 

Wie wahr, wie wahr. Und noch ehe der Soundcheck gelingt, wird die Sturm-Fraktion um Seb begrüßt, die gestandene Karl-Marx-Genossenschaft ebenso, reicht bereits der erste Wodka, um sich daran zu erinnern, bis dato eigentlich nur Bornas Shell-Bockwürste verzehrt zu haben. Als Grundlage für weitere Schnäpse recht gewagt, möchte man meinen. Ein Kräuterbaguette schafft vor Konzertbeginn gerechte Abhilfe. Beide Doktoren staunen nicht schlecht. Übers Flowerpower-Interieur, die konkurrenzlose Bühnentechnik im Ort, die flinken, fleißigen Hände an der großen Schnapsbar; sogar der Zigarettenautomat zeigt Filme, die dem Raucher von Bolwerkow gefallen hätten.

 

Die ersten Konzertblöcke verstreichen im Übermut; Pichelsteins weiterhin als neu zu bezeichnende Erlenholzgitarre, geschnitzt in den Wäldern Japans, führt sich auf wie ein rasender Biber im Schafspelz. „Nicht so schnell, mein Doktor“, ruft Makarios. Man sieht es ja gerne auf Bühnenfotos: Doktoren erzählen sich ins Ohr. Und genau dieser Satz fällt da manchmal. Überaus gerecht, denn je mehr Treibstoff in den Gitarristen gelangt, umso todesmutiger rast er um die Kurve. Pause. Schnapsbar. Viel wird erzählt, ein Mädchen nennt sich „Die Gestörte“ und keiner weiß, warum das so ist.

 

 

Erneut füllt sich die Spendendose für die Wirte von Miloproschenskoje, wird der Rotarmist im zweiten Konzertblock aus dem Keller gejagt, während der Papst von kleinen Messdienern träumt. Oder von sehr jungen Messdienerinnen. Man weiß es nicht. Vielleicht träumt er ja auch nur vom Messwein feat. vom Buch Möse oder Mose, was nicht weiter schlimm wäre. Es soll uns allen egal sein. Heute wird einzig, nicht allein an den einen großen Dichter geglaubt, an S.W. Pratajev, den Puschkin von Miloproschenskoje. Mose hatte recht mit seinem dritten Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, sofern Pratajev damit gemeint ist. Drum, Ihr Pilger heute im Flowerpower zu Chemnitz: Trinkt, esst, nehmt Euch eine sehr junge Schwesternschülerin oder einen sehr jungen Diakon. Der Herr Pratajev sei mit Euch und in Eurem Geiste weit über die letzte Schnapsbar-Zugabe hinaus, weit über den Wind, der den Atem anhält, auch.

 

 

Die Doktoren bedanken sich beim Flowerpower, auch bei der verdienten Klofrau, und möchten noch den DJ im Nachbarsaal trösten. Allein und verlassen, nach wenigen Stunden, gab er schließlich auf. Gegen die Russian Doctors verlieren, das ist nun mal das Kreuz der Konserve dieser ach so schönen Welt. Heim geht’s viel später um die Ecke; in der Dienstwohnung wird genächtigt, wie schön, wenn’s der Veranstalter derart gut mit seinen musikalischen Wanderern meint.