Wie die Liebe dem Leben alle Farben schenkt (441)

 

Nachdem die Negativserie ausgefallener Konzerte zuletzt doch stark verlängert wurde, drückt Doctor Pichelstein heute das Gaspedal durch, überholt lauter Schotterhippies auf Lastenrädern und nimmt Kurs auf den Leipziger Westen. Anstatt den Abend mit beruhigend-kinetischem Sandschneiden zu verbringen, dürfen die Docs zur Jahres-Deadline noch einmal Pratajev aus der Kiste lassen. Und damit das auch richtig gut gelingt, muss natürlich Fürst Fedja mit Anwesenheit glänzen.

 

 

 

Es wird ein Konzert ohne Livepublikum, dafür mit Kameras, viel Technik und dem rührigen Team des Noch Besser Leben in Leipzig-Plagwitz. Dazu gesellt sich eine unbekannte Anzahl Menschen vorm YouTube-Kanal. Alle sind sie versammelt. Von der katholischen Nichtraucherin bis zum absoluten Euphoriker. Menschen, die aus Nah und Fern bald jede der ausgewählten Weisen mit Applaus überzuckern. Mögen die Docs mit Pratajev, der Galionsfigur besserer Wodkatrinker, die Zeit zwischen 20 und 21 Uhr vergolden. Wie die Liebe dem Leben alle Farben schenkt. Hygienekonform versteht sich, wir haben ja schließlich die Seuche an den Hacken. Immer noch. My Color Is Black.  

 

 

 

Verbunden wie in einem Kajak-Doppel auf wildem Strom legen die Docs nach akribischen Trockenübungen inklusive Pizza-Schmaus los. Galvanische Zeiten! Strom fährt durch die Muskeln, schon hackt Pichelstein wie ein neurotischer Buntspecht in die Saiten, verpasst Makarios der Tour mit den 15 größten Hits der Russian Doctors samtig-raue Sangesnoten.

 

„Alles begann im Jahre 2003 mit einem Song, den Doctor Pichelstein mit nach Leipzig brachte. Er wusste damit nicht, dass dieser Song ein Hit sein würde, ich wusste es sofort. Hier kommt er, der Rotarmist …“

 

 

 

Wodka-Bulbash wird zur Bühne gereicht, klar, Fürst Fedja ist da. „Was wären die Russian Doctors ohne Pratajev, den großen russischen Dichter, und was wären sie ohne Schnaps?“

 

Mittenmang folgt ein Interview, das Pratajevs Wirken in aller Metaphorik zu entschlüsseln versucht. Geschichten aus dem Paulanergarten, resp. Bulbash-Garten, setzen dem Ganzen ein Krönchen auf, dann geht’s weiter im Text, im Gesang, weiter auf der bestens aufgelegten, fröhlich gestimmten Erlenholzgitarre bis „Fürchte dich nicht vor der Flasche“ einen Blick in die Zukunft wagt. Und die Schnapsbar-Zugabe die Gegenwart mehr als beschreibt.

 

 

 

Das war es. Und es fühlt sich sehr gut an. Später, als der Abend der Nacht das Zepter übergibt, wird Fürst Fedja heldenhaft die Chauffeur-Nadel am Band überreicht. Eine räudige Plagwitzer Katze springt noch rasch zur Seite und sieht dabei wie eine schattenwerfende Klobürste aus. Bald schon mag Feuerwerk über der Stadt grummeln.