Glück findet man dort, wo man es nicht verloren hat (433)

 

Längst hätte sie da sein sollen, die nächste LP der Russian Doctors samt EP und CD. Doch Pustekuchen wegen a) weltweiter Vinylknappheit und b) Auftragsstau im Presswerk. Jede im Pratajev Klangtheater Leipzig aufgenommene - und durch Tonmeister Dr. Jeans veredelte - neu interpretierte Liedweise wurde gar mit einem eigenen ROSTA-Fenster nach Art sowjetischer Propaganda-Plakate beschenkt.

 

Wir erinnern uns: ROSTA-Fenster wurden einst von der russischen Telegrafen-Agentur ROSTA (später Nachrichtenagentur TASS) u.a. als Wandzeitungsbilder herausgegeben. Sie entstanden in Zusammenarbeit mit Künstlern wie Vladimir Majakovski und behandelten politische, militärische und wirtschaftliche Themen.

 

 

 

Kein geringer als der Meister des Ypsilonminus, Jasper Fryth, zeigt sich für die Pratajev-ROSTA-Kunst verantwortlich. Noch nie gehört? Jasper Fryth? Doch! Vielleicht unter anderem Nickname. Als Gitarrist Hodscha F (bei Die Zucht, Die Art, Mad Affaire) oder als Hochschullehrer im Bereich Medien und Kommunikation (André Friedrich).

 

 

 

Der Zufall wollte es jüngst, dass KPJ, Kunst-Kurator des UKL, eben jenen Jasper Fryth auf einer Leipziger Straße traf. Wiedertraf muss man sagen, denn die beiden kannten sich noch aus fülligen Langhaarzeiten unter frivol-musikalischen Revolten der Vorwendezeit. Damals wechselte eine Neu Rot-Gitarre den Besitzer, jetzt war es eine Telefonnummer, und schwuppdiwupp ward eine Ausstellung im oberen Stockwerk der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie realisiert. Inklusive jener ROSTA-Fenster-Werke, die Jasper Fryth für die Doctors Platte „Die Schönen und die Bösen“ angefertigt hatte. Was lag da näher, als die Docs unplugged zur Vernissage herzubestellen?

 

Und so trifft man sich gegen 17 Uhr vorm Haus 1 des UKL in der Leipziger Liebigstraße, bespricht dies und das, bevor es – nach kurzem Impfcheck – forschen Schritts in die Ausstellung geht.

 

 

 

Tja, wie schön. Pratajev ist eben kein Dichter mit Verfallsdatum und inspiriert, ja sensationiert bis heute. Zwar werden die folgenden zwei Stunden keine gewohnt pompöse Party mit Trink-Feier- und Flirtfaktor, nein, es wird sogar Saft gereicht. Und das Publikum steht damit zur Laudatio, beim Konzertbeginn erwartungsfroh im Halbrund.

 

Makarios stimmt den „Baffen“ an, Pichelstein tunkt die schwarze Erlenholzgitarre souverän in göttliche Pratajev-Paste und legt allumfassend los. Es folgt eine süßlich gezupfte „Zarte“, ein brachialer „Fauler“ und ein lachender „Gärtner“ zum jeweils goutierenden Applaus.

 

Wie heißt es so schön in einer kleinen Umdichtung? „Glück findet man dort, wo man es nicht verloren hat“ (Twitter Goethe). So ein Glück … heute hier sein zu dürfen und staunend mit einem Blumengebinde vor schöner Kunst zu stehen.