Herrentag (420)

 

Bedingt durch das böse Wort mit „C“ fielen zuletzt eine ganze Reihe von Konzerten aus. Man hockte herum, wurde fatalistisch, wehmütig und einem freudenfeindlichen Nussknacker immer ähnlicher. Urlaub war passé, Tschechen-Kippen, einfach alles. Jeden Abend trat wer in einem Livestream auf und hatte was zu verschenken. Musik, Literatur - geiler als Geiz ist völlig umsonst. Was 1918 als „Spanische Grippe“ um den Globus zog, kam ausgerechnet jetzt in verwandter Form wieder. Shutdown auf der heißen Autobahn des Lebens, nicht mal die Achterbahn ließ einen rein. Schwer tat man sich mit der Phase der Akzeptanz, trank darunter Gutes aus Bulbashiskan und sah Buschtomaten, Erdbeeren und prachtvoll knospenden Sträußen beim Wachsen zu. Fuck. Wann die Pest vorbei ist, weiß man nicht. Da kann man die Glaskugel noch so sehr polieren und Wittgenstein mit „Die Welt ist alles, was der Fall ist" zitieren. Hoffen wir das Beste und warten auf den Impfer.

 

 

 

Doch! Heute ist das Leben schön. Knall auf Fall kam die Einladung in den neu eröffneten Biergarten an der Fischerschänke zu Frankenberg. Am Feierdonnerstag, dem Herrentag. Die Doctors strahlen wie Murmansker Atom-U-Boote im Sonnenschein um die Wette.

 

 

 

Früh am Mittag dieselt der Volkswagen los. Pichelstein muss aus guten Gründen fahren. Die Schmette des Fürst Fedja unterzog sich zuletzt rätselhaften Operationen und nahm auf Ebay erworbene Organspenden an. Die Fahrt verläuft ohne Fallstricke, verlässlich warnt Fedja wie eine piepende App vor Blitzern am Wegesrand, die ihn samt und sonders bereits abschossen. Dann nickt er ein, Makarios navigiert Richtung Festspielort, Showtime: 14 Uhr.

 

Anderswo hätte eine Hundertschaft den Biergarten in Schutt und Asche gesprengt, so ist das in Corona-Zeiten. In Sachsen, zumindest in Frankenberg, wird heute lediglich auf Abstand geachtet, die Tische stehen trotz großen Andrangs fachgerecht-metrisch auseinander. Wer trunken in den Staub fällt, wird nicht aufgefallen, muss sich alleine aufrappeln und prügeln ist reinstes Schattenboxen.

 

 

 

Beim ersten Kaltgetränk werden Textilstudien unternommen. „Kotzen macht durstig“ fällt sofort ins Auge. Auf dem nächsten Shirt steht: „Ich bin vom Dorf“. Die schönste Wäsche enthält wenig bis keine Buchstaben. Wir reimen: Blaues Kleid, du Augenweid / Schwarzes Ding, du Heilsbring. Und erinnern uns: Fürst Fedja, auf der Suche nach einem Putztuch in der Küche zum Kellner: „Wo ist denn hier der Lappen?“ – „Ich bin der Lappen“ (sagt der Kellner). Aha.   

 

Kreative Unruhe muss her, ein Soundcheck auf der Bühne am Schieferhang gelingt nach dem Verzehr herrlicher Butterfischbrötchen umso mehr. Noch ein Kaltgetränk, ein warmes hinzu, schon schallt das Intro durch den Biergarten. Ja, Pratajevs Gefolge ist zahlreich erschienen. Aus der Frankenberg-Fraktion fehlt nur Schlafes Bruder Bulbashoff. Vielleicht kein Wunder; als die Docs das letzte Mal hier waren, wachte der Gute des Nachts in einer Hofeinfahrt auf. Es war nicht die eigene.

 

 

 

Los geht’s, das Konzert mit eingebautem Spektakel. Unterm Himmel, so blau wie ein Kandinski auf Speed. Ohne Setlist, einfach drauflosspielen, abgebrüht. Den Stil Pratajevs zur verdienten Geltung bringen und wenn jemand im Publikum Vorschläge hat, her damit. Logisch, „Der Raucher von Bolwerkow“ darf nicht fehlen und wird gleich eingebaut. Was soll man schreiben über einen so würdevollen Nachmittag?

 

Im Rund überrascht jemand seine Leber und trinkt zur Abwechslung ein Glas Wasser. Es wird geklatscht, gejohlt und auch nur mal so mit dem Fuß gewippt. Fürst Fedja ist kurzfristig verschwunden. Nach der Konzertpause taucht er wieder auf. Mit einer Kiepe voller Brötchen für Fische und Würste - alle Tankstellen leergekauft, der Nachschub ist gesichert. Die Leute hungerten und dürsteten in den letzten Wochen, doch heute nicht. Heute ist man wieder näher an allem dran, möchte die ganze Welt umarmen, doch genau das geht nicht. Die Docs geben den Abstand auf der Bühne vor.

 

Bei „Schnaps und Weiber“ liegen sich alle zumindest gedanklich in den Armen und beim letzten Lied, natürlich ist es die vierte oder fünfte Schnapsbar, erst recht. Danke für die Einladung. Mehr Freude hätte man den Docs nicht machen können. Biergarten an der Fischerschänke zu Frankenberg, du magische Insel.

 

 

Fotos 2-4: DANKE an Claudia Hilgers

Foto 1: FraFö