Ein wilder Ritt durch Bestoffistan (417)

 

Die Saison darf beginnen. Fürs erste, offizielle 2020er-Konzert sind die Wege kurz. Das Bandhaus in Leipzig-Plagwitz liegt derart um die Ecke, dass der Fahrrad-Kilometerzähler des Doctor Makarios keinen Royal Rumble leisten muss. Gemeinsam kommt man an, gemeinsam reist man ab. Die leichte Weltendrehung mittenmang ist rasch erzählt, beginnend mit Tellern voller Backstage-Leckersuppe und Wienern in Händen. Oder Wienerinnen? Wobei an dieser Stelle nicht vergessen werden darf, dass Trink-Trank-Impressario Fürst Fedja dem Ganzen ein paar Schokoladenstückchen hinzufügt. Links die Wienerinnen, mittig die Suppe, rechts die Schokolade. Keine Hand frei für ein köstliches Kaltgetränk. Es ist ein Jammer.

 

Währenddessen soundchecken erst The Pokes, dann Armed Armadillos und alles in allem klingt es am Ende so, als wäre der nächste Wochenbeginn monatelang entfernt, sprich: wunderbar. Berlins Folkpunker „The Pokes“ muss man sich als coole Wiedergeburt der beinahe gleichnamigen Iren vorstellen; die Leipziger Kollegen von Armed Armadillos als krachenden Ausflug in die Beatjahre mit Petticoat-Resonanzgitarre und Knutschfleck-Rockabilly-Kontrabass. Wow! Und während überall auf der Welt ein Hauch Corona in der Luft liegt, die Menschen sich in aus Toilettenpapier, Nudeln und Konserven gebastelte Iglus zurückziehen, duftet es im Bandhaus nach Desinfektionswodka mit einem bunten Schirmchen ausufernder Lebensfreude drin.  

 

 

 

Fürst Fedjas Leibwächter desinfizierte sich bisweilen ein wenig zu gründlich. Kaum hat der junge Mann, der wegen vieler Tätowierungen an ein bemaltes Klohäuschen gemahnt, die Schnapsbar losgelassen, bewegt er sich zunächst sanft wie ein Grashalm im Wind. Dann wie eine brechende Birke bei Sturm. „Der wird das Doctors-Konzert nicht erleben,“ raunt man sich zu. Und so kommt es dann auch, was nicht schlimm ist, denn im Bandhaus fällt man - ob arm oder reich - immer weich. Sofern man den Unterschied zwischen einer Treppe und einem Sofa erkennt. 

 

Auf der Bühne verebbt der letzte Boogie, das Publikum goutiert, applaudiert mit feurigem Krawall. Zeit zum Linecheck, Zeit für die Doctors sich der erquickenden Pratajev-Arbeit zu widmen. Etwas mehr als eine Stunde darf heute konzertiert werden; es wird ein wilder Ritt durch Bestoffistan, unterbrochen von Schnapslieferungen und eskalierendem Applaus. Als eine Schöne aus der Stadt gleich vor der Bühne in den letzten Zügen liegt und rülpst, leistet Makarios rasche Abhilfe. Der Sangesdoc reicht einen handgewebten Mundschutz in froschgrün herunter. Der Schalldämpfer hilft und der Chor der Toten Katzen findet ausreichend Gehör.

 

 

„WEM erzählst du nach mir deine Träume?“ singt Pichelstein noch in den Zugabe-Refrain hinein. Allerorten werden Schuhe geputzt, wird sich gebückt. Dann gerät der Staffelstab in die Hände der Pokes. Ein Dank, ein Trank, noch ein Trank und immer dran denken: Das Leben ist wie ein Pralinenkasten. Man weiß nie, was man bekommt. Heute einen Wodka und morgen bestimmt keinen lüsternen Virus, der schleichend und zunächst vollkommen harmlos beginnt … Ach Unsinn, damit ist immer der gemeine Schlafanzugtag gemeint.

 

PS: Für Insider ... O-Ton, punkiges Mädchen mit Russenrot im Haar: "Das ist doch die Freundin von Zecke, dem neuen Schlagzeuger von Anus praeter!"