Blutpenis in Fick-Pieschen (415)

 

An diesem Nachmittag werden die kleinsten Tankstellenbockwürste, die jemals auf einer Konzertanreise feilgeboten wurden, in Leipzig-Grünau aufgetischt. Der junge Mann am Schalter ist sich aber sicher, dass es bei Würsten nicht auf die Länge ankommt, sondern auf das Gewicht. Und das sei doch in der Mitte ganz ordentlich. Beide Doctoren nicken, wie man so nickt, wenn einem Bären aufgebunden werden. Wie zwei vom Irrsinn der Welt erstaunlicherweise ungebrochene Menschen. Cool wie Mafia-Bosse und so weiter und so fort. Entscheidend ist wohl der Wurst-Maß-Index (WMI) und exotischer geht es nur beim Asiaten zu, wenn sich folgende Frage stellt: Isst das Auge mit oder isst man das Auge mit?    

 

 

 

Es ist November und alles, was man vom Monat November kennt, trifft glatt zu. Bei all der Kälte und Nässe streift tropfend in Thüringen seit gut fünf Jahren Maggie im Jonastal bei Arnstadt herum. Maggie ist ein Schaf, ein herrenloses, ein ungeschorenes. Auf 20 Kilogramm wird ihr Wollebalast geschätzt. Da es sich um ein Hausschaf handelt, fällt die Wolle nicht ab, sie wächst weiter. Maggie ist ein wandelndes Knäuel. Ihr Eigengeruch schreckt Wölfe ab. Mit diesem Gedanken, bei klarem Verstand, kurven die Docs gen Dresden. Durch Nebelwände, ohne Fürst Fedja, denn der King of the Wodka-Kongs weilt in Weißrussland.

 

Das Ziel der Reise ist der Club „Zeitgeist“ im Stadtteil Pieschen, westlich der Innenstadt gelegen. Pieschen. Das klingt ein wenig anrüchig. Noch anrüchiger wird es, wenn man eine Chronologie über Pieschen aufschlägt und liest: „Böse Zungen benamsten den Stadtteil einst Fick-Pieschen, und das zu Zeiten, in denen sehr viele kinderreiche Arbeiterfamilien dort beheimatet waren …“

 

Fiktiver Dialog: „Alte Kamellen“, rufen die Bewohner des Viertels. „Heute heißt es doch: Brech-Pieschen. - „Wieso?“ - „Die Kinder werden immer weniger, denn die Leute vertragen keinen Schnaps mehr und brechen überall hin. Werdet Ihr sehen, nach dem Auftritt der Russian Doctors.“  Gesagt, gesehen am Morgen danach und genug, denn wir sind hier nicht in einem Vorschaufilm, sondern im Tourtagebuch.

 

 

Frau Schaf, nicht die Maggie, nein, Mrs. Anni Schaf und Crew begrüßen die Docs und zack steht das erste Kaltgetränk auf dem Tresen. So wünscht man sich das. Ist denn schon wieder Weihnachten? Aus dem Saal heraus donnert die Base-Drum; Andi Valandi & Band soundchecken. Es mixt der Sebastian, ein Guter. Nie war der Sound zuletzt in Dresden schöner. Ach ja, Andi Valandi & Band! Heißsporne! Mit Umhängekeyboard und Mundharmonika, fetter Gitarre und bester Laune. Heute im Zeitgeist: Dark-Doom-Schlager trifft Krautblues, Wodka trifft Sterni, Doctors treffen erstmal auf Andi Valandi & Band. Das passt sehr gut zusammen, alchimistische Doctoren und verruchter Bluesrock. Eskalation meets Harmonisierung. Darauf einen Becherovka vorm eigenen Soundcheck und die Nebelmaschine macht „pfff.“   

 

 

Der Club füllt sich, die Starterklappe wird um 20:30 Uhr knallen. Man hat zu tun. Lecker speisen, trinken, schwatzen. Immer mehr Freunde der Miloproschenskojer Pratajev-Oper trudeln ein. Bald ist kein Durchkommen mehr. Pichelstein sortiert die Bühnengetränke, Makarios schnappt noch frische Luft. Herz da, Kopf da, das Intro läuft, kann losgehen. Von nun an heißt es: „Wiege Deinen Rumpf“ und „Wodka Wodka“ und natürlich erzählt Makarios die Geschichte, warum am Ende des Abends und sowieso kein Mensch brechen sollte. Die bereits überlieferten, ganz und gar gegenteiligen Spuren sprechen allerdings eine andere … Sprache ja wohl nicht. Groß ist die Freude, wenn das Schnapsmädchen zur Bühne eilt. Pichelstein ist auf Punk gebürstet und bricht alle Rekorde. Es knallen die Saiten, die nächste Gitarre wird zur Arbeit gerufen. Herrlich. Pratajevs lyrisches Erbe schlummert in Vulkanen, die jederzeit explodieren können. Heute ist Vulkantag und vor der Bühne tanzen erhitzte Gemüter, singen „Tote Katzen im Wind“ und all das ist schön wie ein flirrender Abend im sommerlichen Miloproschenskoje. Eine Pause von Zuhause.

 

 

 

Nach knapp zwei Stunden soll es gut sein, nach einer Hand voller Zugaben räumen die Doctors klatschnass die Bühne. Im weiteren Verlauf des Abends ist von einem Blutpenis die Rede. Nicht von einem Zehn-Zentimeter-Sportschniepel, nein, von einem Blutpenis. Selbst später, im Hotel Amadeus, weiß keiner der Doctoren, wer auf so etwas kam. Vielleicht erinnerte man sich im Zeitgeist an die Fick-Pieschen-Geschichte. Vielleicht war dereinst mancher Arbeiter mit einem ausreichendem Wurst-Maß-Index (WMI) bestückt und sorgte für reichlich Nachwuchs. Der Preis war ein Blutpenis. Ausgestellt in der Frauenkirche. Geweiht und gesegnet. Womit sich der Kreis dieses Tourtagebuches mehr als geschlossen hat.