Kichererbsen bis Chemnitz (219)


Europark, Zimmer 16, große Pension am Stadtpark im Herzen des zentrumsnahen Stadtteils Altchemnitz. Öffentliche Verkehrsmittel (Straßenbahnen ohne Fahrgast-TV. Unvorstellbar! Wo soll man denn hingucken?), Einkaufszentrum (war’s ein Penny oder Diska?), Sportzentrum (für Integrationsstreber, ohne Worte) und Gaststätten (altbacken) vor der Tür. Anreise rund um die Uhr möglich (Radeberger, warm, bitte sehr). Die Zimmer sind freundlich (ausstaffiert mit Fernseher, Decken, an denen man sich nicht aufhängen kann, weil kein Seil der Welt derart lang ist, Bett, Tisch und 2 Stühle) eingerichtet und werden gern von Geschäftsreisenden (Autotransfer gen Ost?), Firmen (Blumenhandel „Wollen Rose“) und auch Privatleuten (Mittagspause mit der Klofrau aus Minsk) genutzt. Die Sanitärräumlichkeiten befinden sich in Zimmernähe (kommt irgendwie auf die Lage des Zimmers an)… Ja, aber bis dorthin, irgendwann ab nächtlicher Kreuzung zweier unmittelbarer Tage, ist es noch sehr lange hin. Europark, welch edler Name – wer da lediglich an Paris in Frankreich denkt, sollte wissen, dass in Altchemnitz alles eher an Minsk in Weißrussland gemahnt. Minsk liegt eben auch in Europa.

 

Lange Stunden zuvor, am Zernsdorfer Mittag des Tages, füttert Doktor Pichelstein die possierlichen Käfigratten im Haus am See („Doktor Pichelstein füttert die Ratten im Haus am See“ würde eher seltsam klingen). Es plagt ihn dabei ein kleines, schlechtes Gewissen. Materialermüdung führte nämlich eben erst zum Zusammensturz des Duschvorhanges. Könnte man meinen. Andererseits ging der Gitarrendoktor gewiss nicht filigran ans Werk. Ein leckeres Mittagsmahl folgt dem Frühstück und Kalfs Kichererbsen darin werden beiden Doktoren noch lange in olfaktorischer Erinnerung bleiben. Erst bei Ankunft im Chemnitzer Jugendclub „Arthur e.V.“ lassen die kleinen Bösewichte von Makarios und Pichelstein ab - die sich späterhin erleichtert, schadlos mühen, alles Kofferverpackte galant aus dem Autostauraum zu hiefen.

 

Über ein größeres Permafrost-Eishockeyfeld geht’s damit hinein in den Club. Schön warm hier, feine Menschen, und Holm, der Solche, kommt nicht. Brach sich gehend den Fuß und liegt daheim. Fein wär‘ die Nacht bei ihm gewesen, doch nein, es sollte nicht sein. Moderieren wird den Abend nun ein Unifreund. Eigentlich sollte es auch Radio geben, eine Liveschalte, doch es sind eben oder bestimmt Studenten, die hinter so etwas stecken. Man will es ihnen nachsehen, beim nächsten Mal klappt’s bestimmt mit allem, was die Welt so bietet. Ähnliches vermag dito der Arthur-Verantwortliche denken, nur was lässt ihn zweifeln, dass es heute Abend voll wird? „Na ja, sonntags kommen nicht so viele. Deshalb auch nur 3 € Eintritt…“ Von wegen. Nicht mit den Doctors, nicht hier, in Chemnitz.

 

 

Als hätte es einen ominösen Pratajev-Gruftruf gegeben: Binnen weniger Viertelstunden platzt der Club aus allen Nähten. Man kommt nicht vor, nicht zurück. Und das ist Grund, warum Doktoren so gerne am Rande des Erzgebirges, in Chemnitz, spielen. Dem Abend, der Nacht wird Balsam gereicht. Die Fliehenden-Sturmfreunde sind da, Vertreterinnen der Pratajev-Sektion Frankenberg, das halbe Subway-to-Peter feat. Godfather-DJ Herr B. aus C. wird gemutmaßt uvm. Ach, herrlich. Schnell noch Flüssigkeit in den Orkus kippen, dann geht’s mit dem Intro auf die Bühne. Es folgt rasch das „Loblied der Miloproschenskojer Wirtsleute“ – etwas durcheinander geraten, aber beide Doktoren nehmen sich vor, den mitleidigen Text des Pratajev-Wirtes Brantweijn in Zukunft bei allen nachfolgenden Konzerten weiterhin live zu proben. Dann gibt’s das Interview; viele Fragen werden zu Gehör beantwortet und lassen noch viel mehr Fragen im Raum stehen. Macht nichts. Weiter im Set, in der Pratajev-Geschichte. Irritiert blickt lediglich das (vorwiegend weibliche) Arthur-Stammpublikum. Eine Pause soll’s nicht geben, weil morgen Montag ist. Der Tag der Einkehr in die neue Woche, als schlimme Kichererbse unter den Wochentagen ist er verschrien. Und das mir Fug und Recht. Ja, so geht’s lang und heiter weiter; ein bühnendargereichtes Terpentingetränk reinigt den Magen endgültig. Bis die letzte Zugabe verklungen ist und sich die ersten Menschen im Raum das neue Haus aus Stein Nummer 5 glücklich ans Revers heften.

 

Dobrij vetscher, dorogie gosti kongressa Pratajewa!

Pratajevs Freunde – Tutukins Erben (215)

 

„Scheiße, hab ich was falsch gemacht?“ fragt der junge Mann im eingeschüchterten Affekt Doktor Makarios am Eingang zur heutigen Konzertauftaktstätte, der Katakombe in Königs-Wusterhausen. Das Tourauto parkt direkt hinter ihm ein. „Nee, falsch gemacht, wieso?“ entgegnet Doktor Makarios. „Ach ich dachte, ihr wärt die Polizei“. Nun ja, klingt auch nicht schlecht: The Russian Policemen. In Gedenken an Igor Pavlowitsch, dem großen Kriminalisten aus Pratajevs Werk. Aber es wäre des Unguten zu viel, Doktoren müssen es sein und heute wird Neuland geheilt. Königs-Wusterhausen, von allen hier schlichtweg KaWe genannt. Frei von Schnee waren vorab die Autobahnen, klirrend indessen die Kälte und so kommt der Kaffee im Jägermeister-Topf gerade zur Gemütlichkeit und Ausruhe recht. Freund Kalf hat es sich vor einem Aschenbecher bequem gemacht, der Wirt steht am Arbeitsplatz und das ist wunderbar. Rasch mal schauen, wie der Livesaal so ausschaut. Beachtlich! Vorne gleich eine unverzichtbare Schnapsbar, hinten die Bühne; zwischen blondkühlen Bedurstigungen und dem Soundcheck verliert die Uhr wenig Zeit. Nur den Pegel am Mischpult hätte man besser nicht gen Null austarieren sollen. Das rächt sich später kurzweilig, wenn keiner mehr dran denkt.

 

 

Fast zeitgleich mit interessanten Schalen vom örtlichen verschwINDEN-Business für hungrige Doktoren füllt sich dito alles Katakombige. Sogar die tschechischen Schneegrabengrenzfahrer Silvi und Stone sind mit von der Partie. Silvi überreicht Doktor Pichelstein stante pede Spitzwegerichschnaps, selbst gebrannt. Die Flasche lässt sich kaum öffnen; später, vom Inhalt zehrend, wusste besagtes Behältnis genau, warum und was sie damit gutes tat. Pure, leckere Medizin. Aber - vielen Dank dafür (mittlerweile ausgetrunken). Und ja, dann geht’s los in KaWe; das Intro zieht’s Publikum aus Ecken und Kanten. Mitte der „Männer die am Feldmänner stehen“ reißt Doktor Makarios beschwingt den Mischpultregler hoch.

 

Bemerkenswert die Fülle, das Wippen und später gar Tanzen. Pratajevs Texte flirren energetisch durch den Saal bis zum Pausenschnaps und darüber lange hinaus. Becherovka auf Eis! Herrlich! Doktor Pichelsteins Arbeitsgerät beweist Wallungswert und Königs-Wusterhausen wird komplett geheilt. Nur jene bleiben diesbezüglich außen vor, welche dem Nachwuchs dieser Stadt Vornamen wie „Heydrich“ geben. Die sollen draußen bleiben und am Ende unterschreiben The Russen Docs virtuell beim glücklichen, herrlichen Wirt die Option fürs nächste Konzert in der Katakombe. Unbedingt und immer wieder.

 

Brandenburg, du bist ‘ne Schöne. Und Helga Bauer, genannt Peitscha, Geliebte Prumskis und Pratajevs, wohnte einst nicht weit von hier. Unter solchen Gedanken nebst anderen biegt der Kalf-Chrissi-Van mit den Doktoren im Schlepptau um Zernsdorfer Ecken. Ein Haus am See ist das Ziel, ein schlafender Makrokosmos. Und süßer Likör, betrachtet man es aus dieser Warte, bildet einen leckeren, magischen Teil des Mikrokosmosses am Küchentisch. Bis der letzte Tropfen bezwungen ist.

 

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