Pratajevs Goldener Zerbst (237)


Vielen, vielen, vielen Dank! Das war er also, der kleine Pratajev-Kongress 2011. Unzählige Höhepunkte, folgenreiche Schnapsverkostungen, „Goldeck“ in Bestform, „The Russian Doctors“ ebenso, russische Technik, Wallgold II jun. nunmehr "Held der Arbeit“, Pokalrausch für Gurt Kaktus (Rundblick-Foto-Wettbewerb, Forscherpokal 2011), Eademakow & Winogradow als bulgarische Spurenentdecker, eine sich biegende (nicht brechende) Schnapsbar und sämtliche Zerbster Unterkünfte ausgebucht. Was will mehr erlebt werden, am Tag als der Sommer von uns gegangen war? Kommen wir zur Eröffnungsrede des in einer Senffleckenhose steckenden Doktor Pichelstein, Top 1 der Running Order. Auszüge, bei denen der Applaus kräftig anschwoll:

 

 

Liebe Mitglieder der Pratajev-Gesellschaft, liebe Freunde und Förderer, liebe verdiente Forscher und auch Christen, lieber Verleger Wallgold II jun., liebe Damenwelt, meine Herren! Herzlich Willkommen auf dem heute in der großen, kleinen Stadt Zerbst zu befeiernden, kleinen Pratajev-Kongress des Jahres 2011.

 

Unser Dichter Pratajev, um den es in den nächsten Stunden geht, soll es gar ins Amtsblatt Anhalt-Bitterfeld geschafft haben; wir begrüßen deshalb umso erfreulicher die heimlichen Vertreter der zuständigen Kulturverwaltung sowie des Landratsamtes. Im weiteren Verlauf des Abends sollten wir deshalb ebenso die jüngsten Worte des FDP-Vorsitzenden Rösler, Zitat: „Es darf in Deutschland keine Denkverbote mehr geben“, beherzigen und den ein oder anderen Fördermittelantrag in zungengelöster Runde besprechen.

 

Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, eine Pratajev-Büste in der Nähe des 4 Meter 70 großen Denkmals von Katarina der Großen aufzustellen und würden uns natürlich auch mit 4 Meter 60 zufrieden geben.

 

Präsentiert wird der heutige Kongress von Pratajevs Leib- und Magenkapelle „The Russian Doctors“, als Sponsor sei die Schwarzbrennerei Kaktus in höchsten Tönen gelobt. Als Veranstaltungsort ebenso das k6 mit all den lieben Menschen, die es uns ermöglichen, heute hier sein zu dürfen. Ein Dank in eigener Sache gebührt unserer Schatzmeistern und Kalkulatorin Frau Doktor Manjoschka Gnatz, ohne die wir ganz schön im Regen stehen würden. Selbst wenn die Sonne dabei schiene. Wenn Sie heute hier sind, und noch nie etwas von Pratajev gehört haben, dann folgen nun kurze Abschnitte seines Lebens, bevor es dann endlich los geht (…)

 

 

Springen wir durch den Abend im ABI-Land (KFZ-Zeichen für den Kreis Anhalt-Bitterfeld), erwähnen wir, dass die Last der Vorbereitungen jedem dargereichten Kaltgetränk weichen durfte und loben die Fotoausstellungsakteure im Besonderen. Auch kleine Preise für die 5. bis 2. Plätze wurden trunken, dankbar entgegengenommen. Egal, wer die meisten Pins des Publikums am Ende ergattert hatte: Schlotternde Knie waren eine stete Folge. Die Verneigung vor der weitesten Anreise ging eindeutig an Pratajev-Mitglied Nummer 49, „Lucas der Lokführer“ in seiner Funktion als „Der, der immer vorne sitzt“ aus Saarbrücken. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Lucas der Lokführer den „Rundblick-vom-Turm-Wettbewerb“ mit einem ersten, jungfräulichen Beitrag gar ins Leben gerufen hatte.

 

 

Bereits am Einlass wurde aus mildem Plastik getrunken: „Was darf’s sein? Pirnaer Bitter oder eine Katzenblutfälschung aus den Holundersträuchern Brandenburgs?“ Wenige fuhren auf dem ermäßigten Zerbster Ticket; verdorbene Jugendliche aus der Partnerstadt Puschkins fragten sich eher, ob es sich beim Fest der Pratajev-Gesellschaft um ein Sektentreffen handeln könnte. Sie werden es bis heute glauben. Und wissen gewiss wenig über den berühmtesten Sohn ihrer Stadt, über Sven, den Großen. Auch: „Shiva, der Große“ genannt. Die Art-Schlagwerker, u.a. heutiger Goldeck-E-Gitarrist. Einer, der die Welt kennt, der einst (wie Katarina, die Große mit ihrer Kutsche aus Holz) direkt in sie hinausfuhr. Der seine Wurzeln nie vergisst und dem bei Zeiten mal ein Bild an der Heldenwand des Rathauses sicher sein wird. Sehr bekannt auch beim Wirt in der später heimgesuchten Pension Schlosswache („Das ist doch der Sven!“).

 

 

Welch hervorragendes Bühnen-Debüt auch im Zyklus der Helga Bauer-Forschung für Gurt Kaktus, dessen Bildnis der freiwilligen Selbstkontrolle zum Opfer fiel und hier nicht publiziert werden kann. Und erst Wallgold II jun., welcher ein nunmehr 100 jähriges Kuhbürstermodell Pratajevs in Ehren zum Vortrag hielt. Alles in allem: Ein Sonne und Brot-Tag, wie er in ganz wenigen Büchern geschrieben steht. Damit schwindet die Erinnerung; ein Hauch Kesselsoljanka bleibt und mit ihm die Schärfe einer goldenen Pratajev-Nacht. Gewürzt mit neusten Produkten aus der Schwarzbrennerei Kaktus.

 

 

 

 

 

Die belgische Gitarre (236)


Während die Schnelle Musikalische Hilfe (SMH) der Russian Doctors an diesem katholischsten aller Donnerstage seit langem versucht, Chemnitz trotz aller Widrigkeiten zu erreichen, hat der heilige Vater aus Bayern und Rom seine Bundestagsrede bereits hinter sich. „Wo Gott ist, da ist Zukunft“, jubeln Christen und Perser gleichermaßen. Was hilft’s? Das Frohburger Dreieck verschließt sich mal wieder jedwedem Reiseverkehr, heißt: Umleitungen folgen, die keine sind. Denn spätestens in Geithain fällt auf, dass es lokale Buntmetalldiebe neuerdings auch auf mobile Verkehrsschilder abgesehen haben müssen. Merke: arme Gegend, viele Strauchdiebe und natürlich Tempoblitzer. Doktor Pichelsteins Budget sieht (nach dem letzten, rasanten Tourwochenende) diesbezüglich keinerlei Spielräume mehr vor, also: gerecht fahren. Außerdem teilen weder Doktor Makarios noch Doktor Pichelstein die sagenumwobene Fantasie, einem Herrn und Schöpfer entgegentreten zu wollen – gewiss konträr zu den Todessehnsüchten, pfeilschnell überholender Landbevölkerungsgruppen. Warum auch sonst rammte man so manches Kreuz aus Obi-Holz für die Hinterbliebenden an den Straßenrand?

 

Endlich am Flowerpower angekommen. „Jeden vierten Donnerstag im Monat wird dem Soul, R’n‘B, Reggea und Ska aus der großen Zeit gehuldigt. Live werden heute die Russian Doctors aufspielen (…)“. Stadtmagazine sind manchmal schon ankündigungswert interessant; sämtliche Facebook-Einträge darüber spielen Verwunderung herbei. Ob nun R’n‘B für Russland und Belgien stehen möchte? Oder wenigstens eine belgische Gitarre im Besitz des Pichelstein ist? Da postet Doktor Makarios sehr gerne zurück: Na selbstverständlich! Nur spielt der die nicht, weil die viel zu wertvoll ist. Schon Anatoli Prumski sagte, "Hätt ich eine belgische Gitarre von Frans van Gitarrenhals, dem s.v. jüngeren, ich bräuchte nicht mehr spielen".

 

 

Wie wahr, wie wahr. Und noch ehe der Soundcheck gelingt, wird die Sturm-Fraktion um Seb begrüßt, die gestandene Karl-Marx-Genossenschaft ebenso, reicht bereits der erste Wodka, um sich daran zu erinnern, bis dato eigentlich nur Bornas Shell-Bockwürste verzehrt zu haben. Als Grundlage für weitere Schnäpse recht gewagt, möchte man meinen. Ein Kräuterbaguette schafft vor Konzertbeginn gerechte Abhilfe. Beide Doktoren staunen nicht schlecht. Übers Flowerpower-Interieur, die konkurrenzlose Bühnentechnik im Ort, die flinken, fleißigen Hände an der großen Schnapsbar; sogar der Zigarettenautomat zeigt Filme, die dem Raucher von Bolwerkow gefallen hätten.

 

Die ersten Konzertblöcke verstreichen im Übermut; Pichelsteins weiterhin als neu zu bezeichnende Erlenholzgitarre, geschnitzt in den Wäldern Japans, führt sich auf wie ein rasender Biber im Schafspelz. „Nicht so schnell, mein Doktor“, ruft Makarios. Man sieht es ja gerne auf Bühnenfotos: Doktoren erzählen sich ins Ohr. Und genau dieser Satz fällt da manchmal. Überaus gerecht, denn je mehr Treibstoff in den Gitarristen gelangt, umso todesmutiger rast er um die Kurve. Pause. Schnapsbar. Viel wird erzählt, ein Mädchen nennt sich „Die Gestörte“ und keiner weiß, warum das so ist.

 

 

Erneut füllt sich die Spendendose für die Wirte von Miloproschenskoje, wird der Rotarmist im zweiten Konzertblock aus dem Keller gejagt, während der Papst von kleinen Messdienern träumt. Oder von sehr jungen Messdienerinnen. Man weiß es nicht. Vielleicht träumt er ja auch nur vom Messwein feat. vom Buch Möse oder Mose, was nicht weiter schlimm wäre. Es soll uns allen egal sein. Heute wird einzig, nicht allein an den einen großen Dichter geglaubt, an S.W. Pratajev, den Puschkin von Miloproschenskoje. Mose hatte recht mit seinem dritten Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, sofern Pratajev damit gemeint ist. Drum, Ihr Pilger heute im Flowerpower zu Chemnitz: Trinkt, esst, nehmt Euch eine sehr junge Schwesternschülerin oder einen sehr jungen Diakon. Der Herr Pratajev sei mit Euch und in Eurem Geiste weit über die letzte Schnapsbar-Zugabe hinaus, weit über den Wind, der den Atem anhält, auch.

 

 

Die Doktoren bedanken sich beim Flowerpower, auch bei der verdienten Klofrau, und möchten noch den DJ im Nachbarsaal trösten. Allein und verlassen, nach wenigen Stunden, gab er schließlich auf. Gegen die Russian Doctors verlieren, das ist nun mal das Kreuz der Konserve dieser ach so schönen Welt. Heim geht’s viel später um die Ecke; in der Dienstwohnung wird genächtigt, wie schön, wenn’s der Veranstalter derart gut mit seinen musikalischen Wanderern meint.

Unterkategorien