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Kategorie: Tourtagebuch
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Love Valley (368)


Liebethal ist ein Stadtteil von Pirna. Würden auf diesem kaleidoskopischen Leuchtturm der Wanderer und Sammler amerikanische TV-Serien gedreht werden, hieße der Ort beflissentlich „Love Valley“. Dafür müsste man nur die Bewohner austauschen, denn was da alles am Wegesrand skandalfrei hackt und furcht, ist keineswegs netflixverdächtig. Gut, es sei denn, die Kamerateams von „Brisant“ oder „Hallo Deutschland“ rücken an. Dann ist etwas ganz Furchtbares passiert - Vergleiche Pratajevs Weise: „Der Raucher von Bolwerkow“. Aber soweit soll es nicht kommen, wenn schon Kamerateams, dann mögen sie im Jugendgästehaus Feierlichkeiten einfangen. Genau dorthin kurven die Doctoren an diesem herrlichen Freitagabend, empfangen von einer jungen Damenwelt, die sommerlich gewandet nicht auftritt, sondern erscheint.



Gleich mehrere Geburtstagskinder taten sich in familiärer Bande zusammen und luden ein. Doch wer ist oder war zuletzt vom kalendarischen Stichtag betroffen? Bestenfalls schüttelt man jedem die Hand und nuschelt „Herzlichen Glückwunsch“. Doch dafür sind es zu viele. Flehentlich wird sogleich von höchster Seite geäußert, den mitgeführten Bulbash-Vorrat zu verdecken. Unter den Gästen sollen sich ein paar Schnapsdanebenbenehmer tummeln. Keine Begehrlichkeiten wecken! So wird auch die Frage, ob man später eine Flasche in den Kühlschrank stellen dürfe, stante pende nicht mit „Nein“, sondern mit „Um Gottes Willen“ beantwortet. Vorweggesagt: Ein stiller Konsum, verdeckt, wie in amerikanischen TV-Serien, ging am Ende durch und dass daran einige Gäste heimlich teilnahmen, führte nicht zum Anrücken der Kamerateams von „Brisant“ oder „Hallo Deutschland“. So ein Glück. Die Aussage eines honetten Herrn an der Frühstückstafel: „Ich war noch nie so nüchtern nach einer Feierei“, sprach Bände. Aber richtig – man kann auch ohne Vodka fröhlich sein. Und ist es auch gewesen.



Kaum ist die familiäre Fotosession vorüber, stromert Fürst Fedja um die reichlich gedeckten Kochgaben herum. Während sich die Tische darunter biegen, wächst der Hungerast. Der Soundcheck ist am Ende gleich mehrfach getan; Mister Mixer fing nach jeder Endeinstellung wieder von vorne an, bis Doctor Makarios schließlich „bitte nicht mehr dran drehen“ rief und endlich in Feuerstellennähe gefuttert werden darf. Ein Lob den Köchinnen, ein Dank an die Gastgeber. Das Leben als Russischer Doctor hat schon seine Vorteile. Rasch einen heimlichen Verdauungsschnaps, pssst, nicht so laut, dann rauf auf die Bühne. Pichelstein schaut ein wenig leidend, rammte er sich doch am Vormittag das Metall eines Aktendullis in die linke Zeigefingerkuppe. Damit war zunächst gar nicht gut „Griffe greifen am Gitarrenhals“ – doch dank einer Kombination aus Ibuprofen, Sprühpflaster, Bulbash (heimlich), Fixomull und Sekundenkleber wird’s irgendwie schon gehen.


Man muss nicht lange beifallheischend in die Runde blicken, die Familienbande ist sofort bei der Sache und lässt sich tanzend, feiernd auf die obskursten Pratajev-Geschichten ein. Die Reise beginnt in einem Rotarmisten-Keller, führt über eine Bierbar-Pause in den zweiten Block und endet schließlich mit der Zugabe aller Zugaben in ländlichen Regionen. Der „Raucher von Bolwerkow“ darf nicht fehlen und solange nur von ihm gesungen wird, möchte Liebethal weiterhin nicht „Love Valley“ heißen.