Tabakovic. Ein Name wie ein Späti (495)

 

Leipzig-Schleußig, 16 Uhr, Abfahrt mit den erwartbaren Zwischenstopps Büro und Grünau-Bockwurst-Tanke. Noch immer ist kein goldener Oktober in Sicht, nicht mal im November. Die Temperaturen tasten sich zaghaft in den zweistelligen Bereich. Ein Lichtblick bleibt nach der Konzertpause: Herbstmüde geht es, erneut auf Einladung des Liederbuch e. V., gen Zwickau. Man of the MDR Info-Bundesligaspieltag ist heute eindeutig Gladbachs Haris Tabakovic, trifft doppelt gegen St. Pauli, immerfort röhrt es aus dem Radio: „Tabakovic am Ball, Tabakovic schießt!“ Ein Name wie ein Späti, der recht vertretbar ins Pratajev-Universum passen würde. Vielleicht als zwielichtiger Erbe einer Teezigaretten-Firma, der es ruchlos auf die Schürze von Helga Bauer abgesehen hat, dabei aber letzthin von Kriminalkommissar Pavlowitsch zur gerechten Strecke gebracht wird.  

 

Wir erinnern uns: Größter Produzent von Teezigaretten war zu Zeiten Pratajevs die Firma Berjolnik in Kolsnowo-Parputsk. Die Pratajev-Anekdote „Im Freibad“ setzte diesen, auch bei Kindern und wilden Verehrerinnen, äußerst begehrten Zigaretten ein ewiges Denkmal. In ihr heißt es, dass die mit grusinischem Tee gestopften Rauchopfer eine Spezialanfertigung für Pratajevs Gefolge gewesen seien. Um die betörende Wirkung rankt sich bis heute vermutlich der Ausdruck „Im Tee sein“. 

 

Höhe Borna wird das A72-Baustellengelände Richtung Bundesstraßenmatrix verlassen, schon öffnen sich die himmlischen Schleusen. Es regnet, es ist dunkel, im Tourgolf werden die Kippen bei offenen Fenstern nass, man möchte ankommen. Was, Navi sei Dank, auf verbotenen Pfaden, quer durch die Zwickauer Fußgängerzone, gelingt. Gastiert wird heute im Projekt 46, ansonsten eher Ausstellfläche, Begegnungsstätte, heute aber fest in der Hand des Lex Pratajev.  

 

Bild: Pi.doc  

 

Liederbuch-Maestro Andreas wird geherzt, Hände werden geschüttelt, die Backline zur Bühnenecke getragen. Eine Hürde bis zum ersten Kaltgetränk gibt es noch zu überspringen: Das Auto braucht einen Parkplatz, von dem es subito nicht abgeschleppt wird. Oh ja, die Toten Augen der Zwickauer Polizeibehörde (frei nach Edgar Wallace) kennen kein Erbarmen und zeigen bereits motorisierte Nepper-Präsenz. Und damit der auf dunklem Terrain durchaus zur Orientierungslosigkeit neigende Doc Pichelstein sich nicht bei der Abstellsuche bis nach Chemnitz verirrt, wird Geleit angeboten und dankbar angenommen. Zwanzig Minuten später ist die Mission beendet, parkt das Auto unweit der Katharinenkirche, in der einst Thomas Müntzer wirkte, bevor der alte Aufrührer 1521 aus Zwickau vertrieben und wenige Jahre später in der Schlacht bei Frankenhausen enthauptet wurde.

 

Vom Fußmarsch im Regen leicht derangiert, aufgepäppelt mit Kaltgetränken, folgt der Bühnenaufbau. Ein großes Lob an dieser Stelle dem Technikus. So, wie es die Docs mögen, wird’s gemacht: Schnell, gut und unkompliziert. Füllt sich langsam schon der Laden, da will man viele begrüßen, das Ehepaar Imker aus Pirna, die Rostock-Delegation (weiteste Anreise), viele mehr, man erkennt sie am passenden Gewand. Zuletzt gilt es, in aller Ruhe den Häppchenteller im Backstage zu plündern, dann begrüßt Andreas den vollbesetzten, bestuhlten Saal, die Klappe fällt mit „Schwermut im Herbst“. 

 

Bild: Freie Presse  

 

Pichelsteins Finger eilen durch die Stahlsaiten, mit artgeschulter Düsterstimme durchdringt Makarios die Leuchtkraft Pratajevs, jedes noch so kurze Liedchen steigert sich zum Diskant, wird beim letzten Akkord beklatscht, belacht, kurzum: laute Freude ist im Raum. All dies um heil zu bleiben. In einer Welt, die es oft genug nicht ist.

 

Mehr als eine Stunde dauert die erste musikalische Pratajev-Untermalung bis zum Pausenschnaps an der Kühlschrankbar, im Backstage. Viel geschah im ersten Set. Nachdem der Herbst kam, führte „Das Idyll“ zum Feuerwachturm von Miloproschenskoje, reiste mit dem Holzkarussell wodkabeladen über kulinarische Wonnen und kam schließlich im Fetisch-Block an.

 

Bild: Freie Presse  

 

Nach der Pause gilt: Fortsetzung des Programms mit dem Wind, der den Atem anhält, mit Pratajevs Gefolge. Alle wollen sie dabei sein, der „Gärtner“, der „Käferzähler“, „Der Satte“, das nach Schnaps stinkende Mütterchen usw. - wie eh und je bleibt „Der Faule“ zurück. Glücklicherweise hatte Pichelsteins Hauptgitarre bereits zuvor ihren Reifenplatzermoment (immer ist es die G-Saite), nun heißt es: gut gestimmt ist halb gewonnen. Den Rest erledigt das Publikum; es trägt die Docs durch den Abend wie der 7. Mann beim Eishockey und erhält beste Tote Katzen im Wind-Chornoten.    

 

Am Ende einer weiteren Spielstunde soll’s genug sein, die erste Schnapsbar zeugt davon. Doch weit gefehlt. Der finale Wunschblock wird lautstark eingefordert. Los geht es, das Zugabengewitter. „Löcher im Strumpf“, „Tasche“, „Der Raucher von Bolwerkow“ (samt akribischer Mitteltextzeilensuche), „Gelber Schnaps“ – bis die Gitarrenflügel des Pichelstein hängen, Makarios bereits auf einem zusammengebauten Kistensitz thront, nur noch „Geh heme meine Kleene“ geht, okay, gefolgt von einer dritten und letzten Schnapsbar im Walzertakt.

 

Danke, liebe Menschen! Platten werden signiert, Gruppen-Selfies geknipst, verlorene Flüssigkeiten infundiert, Pratajevs Werke an frischer Luft erörtert. Dann nichts wie ins Taxi, das am Hotel Merkur hält. Eine betagte, bald schließende Unterkunft mit allen Vorzügen. Es gibt sogar eine prall gefüllte Minibar des Vertrauens. Sehr selten in Zeiten wie diesen.

 

Bild: Freie Presse