Dem Schnapse wohnt was inne, einer Daggering-Hipsterin nicht mehr viel von Belang (340)
Freunde des frischen Atems, der gesunden Musik, des Dichters Pratajev. Auf zu neuen Taten, jetzt schlägt’s 13 für die Doctors. Denn solange konzertieren sie schon, 13 Jahre. Toll, wie die Zeit vergeht und was da alles schon erlebt wurde. Niemals bisher konzertierte man im untrubeligen Dresdner Heide-Norden, genauer gesagt: in Weixdorf. Die dort ansässige Feiermanufaktur ermöglicht es heute. Auf dem Waldbadhaus-Programm steht geschrieben: „Wintergrillen mit den Russian Doctors“. Na, das passt doch.
Das Equipment ist verladen, Fürst Fedja gibt Gummi. Ein barbarisch blauer Himmel, bestückt mit völlig kraftloser Sonne, lockt nicht gerade zum länger draußen rumstehen und frieren. Selbst den Hunden wurden Strickmäntel übergeholfen und keine leicht bekleidete, Dub-kontaminierte Outdoor-Daggering-Hipsterin ist an der Prager Straße Richtung Autobahn zu erspähen. Wie? Sie kennen keine leicht bekleideten, Dub-kontaminierten Outdoor-Daggering-Hipsterinnen? Das ist auch besser so. In der Zusammenschau würde man sie so beschreiben: Jung gebliebene (Alter ist kein Verdienst!) Kletterwandabsolventinnen mit „Stoff im Blut“, die sich an der Prager Straße Richtung Autobahn nach zu viel Bass-Konsum erbrechen (Slow Motion Vomit) und dabei hektisch mit dem Hintern puddingwackeln. Schon trollt sich das Männchen herbei. Hinter der Hipsterin aufzuführende, physiotherapeutisch wertvolle Lower Belly-Workout-Crunchie-Moves sind die gewünschte Folge. Geklaut bei Pratajev. Wir erinnern uns an den „Wiege Deinen Rumpf-Tanz“ der letzten Doctors-Tour.

Mittlerweile ist es stockfinster geworden, die Magistralen des Sachsenlandes wurden lange verlassen. Sanft spricht die Navigationsdame zum Fürst Fedja: „Drehen Sie wenn möglich um“. Für derlei Unwirsch hat Doctor Makarios nur Verachtung übrig. „Nein, nein, nein, mach die aus, das muss hier sein.“ So ist es auch, tata: Rechter Hand erscheint ein Backsteinhaus mit direktem Zugang zu einem halbabgelassenen See, das Waldbadhaus. „Sie haben ihr Ziel erreicht“, spricht Doctor Pichelstein mit bestgelaunter Navistimme. Was wäre das für ein Zweitjob für den Pi.doc? Navistimme! Und am besten gleich noch Flughafenstimme oben drauf „Passengers Fedja and Makarios, last call for passengers Fedja and Makarios. Run for your lives, if you will enter Paradise.” Apropos: Raus aus der minder gut belüfteten Enge, rein ins grüne, kalte Dresden-Paradies. Alles steht unter Denkmalschutz, sogar das Wasser. Autotüren schlagen zu, der Tross fällt einer herzlichen Begrüßung anheim.
„Ja, damals war’s, im Zschonergrundbad…“ Der Bühnenaufbau gelingt dank Baukastensystem, während draußen, auf der Terrasse der Kulinarik, eine zweite Augenweide bestellt wird. Noch rasch einen Outdoor-Daggering-Hipster-Dance beim warmrauchenden Kaffee aufgeführt, dann verleiht der Uhrzeiger Soundcheck-Flügel. Erste Gäste treffen ein, Tische werden okkupiert, das Waldbadhaus ist bald reichlich gefüllt. An der Schnapsbar wird bereits gepfiffen („Verzerrter Mund“) und gesummt („Hier hab ich gelegen“). Na das kann ja heiter werden. Früh liegen sich die Menschen in den Armen, Integrationstabletten bleiben im Schrank.

Die Terrassenbühne tischt und tellert auf: Kartoffelsuppen, Grillwerk á la Schaschlik u.v.m. Drinnen gibt’s Kaltgetränke, wird Schnaps, dem viel innewohnt, an Bedürftige verteilt. Doctoren schmausen, Doctoren geht es gut, so muss es von Anfang an bis immer sein. Mittenmang spielt sich das Konzert fürwahr dann wie von selbst. Ab 21:15 Uhr hochdeutscher Zeit wird der „Rotarmist“ wachgeküsst, geleitet Doctor Makarios die Feierrunde quer durchs wilde Leben Pratajevs. Besagter Schnaps (dem viel innewohnt) steigt Pichelstein rasch zu Kopfe und da vorn am Tisch behauptet wird: „Das ist bestimmt bloß Wasser“, schenkt der schnellste Erlenholzgitarrist der Welt gerne ein Glas her. Hat er sich doch eben erst beim „Wanderer“ mit dem Fingerprotektor der Schlaghand in den Saiten verhakt. Das passiert übrigens nur bei Vodka unterhalb der 10 €-Einkaufspreis-Schmerzgrenze. Bei Bulbash nie. Und nur höchst selten während eines Becherovka-Gelages. Nur so am Rande… Weiter geht’s bis zur Pause, bis zur ersten Schnapsbar. Eine beneidenswerte Dichte großer Pratajev-Verse liegt bereits hinter den Doctors. Schullektüre von damals oder völliger Unsinn? Total egal. Allen gefällt’s.
17 Brandenburger Minuten später beginnt Set Nummer zwei mit den „Feldmännern“, jede Menge totes und lebendes Getier reiht sich ein und eigentlich geht es nur der Kuh wirklich gut. Die „Toten Katzen im Wind“ führen mitunter zu einer erschütternden Solo-Damenflucht Richtung Klo. Erst dahinter wird sich der beidhändige Ohrenschutz wieder gelockert haben. Beim „Raucher von Bolwerkow“ ist die Lady mit der Welt wieder im Reinen. Erstaunlich.

Der Abend gelingt bis über die letzten Zugaben hinaus, Howie schaut bei der dritten Schnapsbar vorbei. Ein Hauchen, ein R überrollt das nächste R. Selbst in „Hello again“ versteckt sich eines und muss herausgequetscht werden. Fehlen nur noch die „Löcher im Strumpf“ wegen der „Spuren im Sand“, dann muss es fast reichen. Okay, noch eine pratajevsche Quintessenz hinterher: „Schnaps und Weiber“. Doctor Makarios‘ Stimme braucht Öl, Doctor Pichelsteins wunde Finger wollen in Froschbutter getaucht werden. Balsam für alle! Reine Seele für die Kehle! Die Ferienwohnung ist gleich um die Ecke. Glücklich schaut man aus dem Fenster und raucht eine letzte Lulle in die Nacht hinein. Aus den Boxen erklingt zartsüßlich der neue Stern am artigen Schlagerhimmel: Conny Cokker aus Weimar an der Goethe: „Wenn der Millionär kommt und immer wieder herkommt, muss es mit den beiden wohl was ernstes sein. Sie ist 17 Jahre, hat feuerrote Haare…“
Danke für diesen feinen Abend. Wer nicht da war, hm, der wird’s bereuen. Doch so wie’s ausschaut, suchen die Doctors das nächste Wintergrillen im Februar 2017 wieder heim.
