Der Schnapsflaschenmann mit der Schnapsflasche aus Schnapsmark (336)


Na wunderbar, dem bereits fürs Frühjahr geplanten Alster-Besuch der Erben Pratajevs steht nichts mehr im Wege. Auf geht’s. Fürst Fedja übermittelt Winkegrüße aus belarussigen Schnapslanden, da geht das Business mal vor und Pichelsteins fixer Volkswagen dieselt als Tourauto durch die Lande. Über Wildbahnen mit A und B im Straßenatlas, durch Dörfer, alt und verlassen, bis hinein ins urbane Leben Thüringens und das findet natürlich in Jena statt.

 

 

Schlüsselkarten gibt’s im Ibis-Hotel, die Backline wird in den Club verladen, der Volkswagen parkt in der Tiefgarage nebenan. Neugierig, von Ferne einen ballermannartigen Sound vernehmend, stapfen beide Doctoren los. Ein lauschiger Weihnachtsmarkt wurde erwartet und was ist der Augenöffner? Ein Rummel. Mit Kotzmühle, Schießbude und Dosenwerfen. Erstaunlich. Will man zum Menü aus Roster und Glühwein gelangen, muss man da durch und die Mickie-Krause-artige Beschallung auch danach ertragen. Flötenmädchen und Blechhornjungs haben keine Chance auf akustische Hoheiten. „Stille Nacht, heilige Nacht…“ versus „Geh mal Bierholen, du wirst schon wieder hässlich, ein, zwei Bier und du bist wieder schön…“ Das scheint den Besuchern des Weihnachtsmarktes indes sehr zu gefallen. Studentische Hilfskräfte quieken vor Wonne, ehegelübt-vollzogenes Proletariat mampft sich stoisch in den Feierabend hinein. Wer die Backen gut füllt, muss nicht miteinander sprechen und scharfer Senf vernebelt das Denken. „Lass uns mal lieber wieder ins Alster gehen und uns an die Schnapsbar stellen“, sagt der eine Doctor zum anderen.

 

 

Dort angekommen wird durchgeschnauft, werden Drinks geordert, u.a. sehr gesundes Mönchsbier. Betreutes Trinken ist toll und die Bardame wird zum Spitzen-As im Helfersystem. Keine drei Gläser später steht die Bühne, leuchtet Mona Lisas Lächeln unterm Doctoren-Soundcheck umso heller. Der Club füllt sich; die lokale Pratajev-Sektion um Miss Inge A. Polenz gibt sich die Ehre und was haben wir da? Großes Töchterchen, passionierte Breakdancerin, textsicherer als Makarios und Pichelstein zusammen, erstmals bei den Russian Doctors! Da kann man prima am nächsten Tag bei allen angeben. Bei der Oma, auf dem Pausenhof und bei den Lehrerinnen sowieso. Los geht's. Das Intro läuft, die Feldmänner stehen Gitarre und Mikro parat bei Fuße.

 

 

Der Ritt durch Pratajevs Leben, sein Wirken, Darben und Feiern, wird zum Wiege deinen Rumpf-Triumpf. Jenas zahlreiche Gäste, befreit vom Rummel, atmen auf, respektive lassen Luft in Gläser und Flaschen hinein. Makarios gibt den „Howie“ bei den toten Katzen und beim Bücker-Kontest der Thüringer Fetischisten. Pichelstein führt Carpendales Refraingut in die Sangespausen ein. „Deine Spuren im Sand… Hello again... Wem erzählst du nach mir deine Träume? Nachts, wenn alles schläft… Tia mo… Ich sage dir: geh doch!“ Hach, wie herrlich. „Howie, Howie, Howie“, skandieren die Entrückten in der ersten Reihe. Ein Schnapsflaschenmann mit einer Schnapsflasche aus Schnapsmark, sprich: Dänemark kennt kein Erbarmen. Wieder und wieder wird das lauwarme Behältnis zum inhaltlichen Verzehr auf die Bühne gereicht. Ganz schwummerig um die Hüften geht’s für die Doctors dann in die Pause.

 

Wie gut, dass die vorab genossenen Gnocchis eine wunderbare Grundlage bilden. Sonst hätten alle am Ende noch Nüchternschmerz. Eine in Musikerkreisen sehr gefürchtete Gemengelage. Schlagzeilen wie „Trunken durch zu wenig oder zu schlechtes Essen von der Bühne gefallen“ lesen wir in vielen Blogs kleiner Sänger und Solisten. Sie sollen den Wirten eine Warnung sein. Denn von der Bühne fällt man nüchtern-geschmerzt sehr ungern.

 

Weiter geht’s bis in die Zugaben hinein. Bis die dänische Schnapsflasche alle ist, bis die Doctoren schwitzend in die Ecke fallen und der Majorlabel-Eddi im Geheimen verkündet: „EA 80 haben mir ein Lied gewidmet. Die sind gerade im Studio und da wird’s aufgenommen.“ Besorgt schaut sich Pichelstein darunter einen Barhocker an, der unter der Last seiner Bewohnerin zu bersten scheint. Der Hocker ist aus Holz. Da sieht man gleich jeden Riss. Wäre er aus Carbon, würde er sein nahes Ende verschweigen. Er bräche von innen nach außen langsam in sich zusammen und würde dann mit einem sogenannten „Hoppla-Effekt“ den zerstörerischen Ballast (mit den Tode ringend) von sich werfen. Wir wollen das nicht weiter ausführen, nur noch eine trunkene Idee des Schnapsmannes verraten: „Lasst uns Eddi vom Majorlabel eine Platte aufnehmen. Ich weiß, was der so hört, und jeder tut seinen Senf dazu. Ihr könnt schon mal was von Razzia einspielen…“ – „Ausflug mit Franziska: Alle Träume sind bezahlt, Schatz, das ist der beste Rotwein, den ich hier seit langem trank“, entgegnet Pichelstein wie aus der Pistole geschossen. Zeit ins Hotel zu gehen, das Ehebett wartet. Wie gut, dass kein Frühstück dazu gebucht wurde, denn der nächste Tag wird erst gegen elf am Mittag eingerummelt werden. Soviel Schlaf, verbunden mit kleineren Interludes („Herr Doctor, das ist meine Decke, Herr Doctor, kuscheln Sie sich nicht so ran…“) muss sein.