Die Klatschweltmeisterschaft (331)


Auf nach Dresden. In den Saal der Alten Feuerwache. Doctor Pichelstein ist von jetzt auf gleich schnupfgeplagt und hofft inständig, niemanden angesteckt zu haben. Ein Harzer Viruscocktail, hm, gar nicht gut. Es ist früher Freitagabend, als die Bockwürste, Autobahnkilometer, all die Rauchpausen, Unfälle und Staus hinter den Doctors liegen und Fürst Fedja den BMW galant in die Einfahrt kullern lässt. Nur nicht wieder gegen die Mauer fahren. Ein Unterfangen, was taghell natürlich gelingt.

 

 

Wieder ist’s wie am gestrigen Tage. Als eine bereits vorinstallierte Bühne freudig zur Kenntnis genommen wird, zischen sich erste Kaltgetränke mühelos wie von selbst. Diesmal gebührt der Dank dem begnadeten Technikus Eric. Nach dem Soundcheck gibt’s leckere Häpperchen und Päpperchen mit Gürkchen oben drauf. Satt bis zufrieden kann’s Konzert somit beginnen. Schön. Man muss nur sitzen, schwatzen, trinken und warten. Die Tische füllen sich – aber keine Sorge: es wird kein Sitzkonzert werden. Wir sind ja schließlich in Dresden und nicht, na ja, dort, wo die Leute eben (warum auch immer) Sitzkonzerte präferieren. An ein öffentlich zugängliches, bestuhltes Elbflorenz-Konzert in den letzten Jahren kann sich auch zuweilen niemand erinnern. Pirnas Gleichstellungsbeauftragter der Pratajev-Gesellschaft versucht den fränkischen Worten der aus Nürnberg angereisten Hufschmiedin zu folgen und scheitert. Mit großem Hallo wird die Grottenwirtschafts-Gemeinde begrüßt und so werden es am Ende knapp über 50 Gäste. Das ist schon viel für diese Gegend (außerhalb des Elbhangfestes), denn Loschwitz zu erreichen ist die eine Sache. Loschwitz mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder Richtung City oder meinetwegen Struppen zu verlassen, eine nachts schwer zu stemmende Angelegenheit. Doch soweit die Füße tragen sind wir noch nicht, zunächst gibt’s das Handzeichen vom Eric: Intro ist scharf gestellt, kann losgehen.

 

Und wie es losgeht. Von Anfang an geben verehrte rhythmische Klatschweltmeister den Ton an - die machen ihren Job wirklich gut. Aus 100 werden (gefühlte) 500 Hände und natürlich Kehlen, die lautstark grenzenlose Freude am Leben und Werk Pratajevs kundtun. Getanzt wird mitunter besorgniserregend. Pogo bei den Doctors, jawohl! Die Fidelio-F.-Finke-Straße draußen muss beben und es ist ein kleines Wunder, dass nicht ein besorgter Bürger das Ordnungsamt zum Herstellen der Schwarzkittelruhe nach 22 Uhr herbeizitiert. Vielleicht gibt es in Loschwitz ja keine wild um sich fuchtelnden, besorgten Bürger. DAS wäre wahrlich eine zu schöne Attitüde.

 

 

Mehr als schön ist’s Konzert. Es macht Spaß und Freude und soll nie zu Ende gehen. In der Pause lässt sich Pichelsteins Ungeduld aufs Weiterspielen nur mühsam durch ein paar Kaltgetränke bezähmen. Das klitschnasse Shirt muss er wechseln; ein Hockeydress der Edmonton Oilers wird dem nassen Corpus übergeholfen. Makarios hat, locker flockig den Drink kürzer nippend, noch ein Weilchen am Merchstand zu tun. Weg wie warme Semmeln gehen wie auch gestern die „neuen beiden Tonträger zum Preis von einem“. Heute ist schließlich der Tag der echten CD-Releaseparty. Dazu passt gerne: Ein herrlicher Milzbrand aus dem Hause Fedja.

 

Makarios beherrscht sie auch in der zweiten Konzertrunde galant, die hohe Schule der Pratajev-Inszenierung, nimmt das Publikum mit erlesenem Sendungsbewusstsein mit, was Doctor Pichelstein zu einer frenetischen Gitarrenreise inspiriert, ja förmlich aufstachelt. Mit jedem dargereichten Schnaps wird er schneller und schneller, so dass Konzertdirigent Makarios alle Mühe hat, dem rasenden Treiben stimmlich folgen zu können. Und dann geschieht es. Zack, erste Gitarrensaite gerissen, zwack zweite Saite durch. Auf der Überholspur greift Pichelstein zur Ersatzklampfe, setzt charismatisch „Da hält der Wind den Atem an“ drauf, winkt mit dem Gitarrenhals ins Publikum und schon wieder: ein Saitentod, ein gemeiner. Wenn das kein Zeichen von unten, aus Pratajevs Gruft, ist. Die (fast) letzte Zugabe gelingt ergo mit Ach und Krach: „Als das Eis kam“ – was wäre ein Dresden-Konzert ohne Pratajevs Bolwerkow-Hymne? Eine finale Schnapsbar gibt’s zum Schluss oben drauf. Fast schon A-Capella.

 

Herzliche Begegnungen, sinnliche Momente, neue Bekanntschaften, unvergessliche Erlebnisse, bewusste Selbsterfahrung und faszinierende Erkenntnisse bleiben haften. Und natürlich: am Ende ist die Schnapsbar in der Feuerwache bis auf den letzten Kümmerling leergetrunken.

 

PS: Der Satz vor dem Schnapsbar-Satz wurde einer Broschüre über Tantra-Massagen entliehen (passt aber ungemein hierher).