Griechischer Schnaps zur Russian-Speed-Lyrik (325 & 326)
Hofnacht in Pirna! In der Langen Straße, am Elberande, nahe der Schifftorvorstadt, beim verehrten Teilzeit-Privatier Ulf. Im Hof der Höfe, wo Keks und Kuchen sich „Gute Nacht“ sagen und junge Naschkatzen, die davon probierten, in tiefste Traumtiefen fallen. Dortselbst also, wo jeder gelungene Abend nur ausufern kann. Und die Doctors dazu auf der Hutbühne. Was will man mehr? Jahr für Jahr eine unverkennbare Größe im Kalender und jedes Mal ist neues Publikum da. Publikum, das sich beinahe stapelt, denn der Ulf‘sche Hinterhof ist nicht besonders groß. Was liegt da näher, als mal wieder gleich zwei Konzerte hintereinander zu spielen? Natürlich mit unterschiedlichem Liedgut. Wir wollen es vorwegnehmen: 51 Titel gab es in summa summarum 3,5 Stunden auf die Ohren. Stellen Sie sich vor, wie nassgeschwitzt, wie sweet salzig beide Doctors am Ende waren. Die Salinen von Sečovlje und auch die von Salzuflen hätten einpacken können. Tsipouro, griechisches Feuerwasser, nonchalant serviert vom Gastgeber persönlich, assistiert von Fürst Fedja, machte es möglich. Betont und weise waren es am Ende nicht genauso viele Schnäpse wie Pratajev-Lieder. Doch zurück zum Urquell des Abends.
„Sonst verschlossene Höfe laden zu kühlen Getränken in lauschiger Atmosphäre ein. Auf der Langen Straße 36 rocken The Russian Doctors einen Privathof“ – der Pressetext der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna bringt es unverwunden auf den Punkt. Makarios und Pichelstein werden also rocken müssen. Kein Problem. Die Luft ist schwül, die Wolken sind dick wie Elefantenhaut, kein Regen, die ganze Zeit kein Regen während der Hofnacht. Das hat es lange nicht mehr gegeben. Fürst Fedja und Doctor Pichelstein „schleppen sich einen Ast“, wie man so sagt, wenn man schwere Dinge (Anlage zur Beschallung, Backline, Merchkoffer) bewegt. Ob es dafür ein Synonym gibt, welches milde sächselnd für eine solch große Tat angeführt werden könnte? „Anna Bärne gerämmlt“ wurde sich jedenfalls nicht und so steht beizeiten die Bühne, die ersten Kaltgetränke mit Schuss sind wegtrinkbereit. Eine Wohltat fürs Bonusheft.

Getrost könnte man bereits den Soundcheck als erstes, kleines Konzert anführen. Eine Reisegruppe älterer, das Leben bereits länger studierender Semester, setzt sich erschöpft nieder. Brav wird nach jeder Lied-Testosteronung applaudiert. Und als Doctor Pichelsteins obligatorisches „Hollaröhdulliöh“ aus dem göttlichen Rustikal „Der Watzmann“ zur Stimmprobe gelangt, wird gar ein wenig geschunkelt. Die in unbedarften Kreisen beliebte Frage: „Singt ihr gleich auf Russisch?“ bleibt diesmal unbeantwortet. Und da besagte Reisegruppe das echte Konzert dann – auf Drängen der weiblichen Frauen-die-wie-Katzen-kreischen-Parts („Trink aus, Rudi, trink aus, wir müssen gehen“) – schlussendlich verpasste, werden sich einige der gebildet dreinschauenden Damen und Herren bis tief in der Nacht durch staubige Lexika gewälzt haben. Immer auf der Suche nach einem russischen Dichter namens S.W. Pratajev.
20:30 Uhr schlägt es krach im Gebälk der Kirchen, dann ist die Hutbühne proppenvoll. Das 325. Konzert beginnt mit den „Feldmännern“ und endet nach einer zweistündigen Reise, ausgeführt in Maximalgeschwindigkeit. Doctor Pichelstein gewinnt im weißen Trikot die Tour de Pirna, Doctor Makarios im schwarzen Salzhemd das Elbe-Windschatten-Steherrennen. Ausgebremst werden die Könige der Russian-Speed-Lyrik lediglich auf einer Bergetappe durch einen marodierenden Zwischendefekt am Tonmischgerät - doch eine kleine Umsteck-Aktion nebst Kontaktspraygabe bereinigt das Malheur in Windeseile. Fast hätte man meinen können: Das gehört alles zum Programm. Eine Weltpremiere wird feilgeboten: „Die Schwimmerin“ – ein 45-Sekünder gleich nach den „Veterinären aus Murmansk“. Wie passend. „Schnapsbar!“ heißt es am Ende und die ist heute – wie bereits geschildert – lecker griechisch bestückt. Solidarität mit Griechenland ist das Motto.

Eine halbe Stunde später startet das Konzert mit der laufenden, nein, rasenden Nummer 326. Der „Rotarmist“ hält als Dosenöffner her und wieder ist’s voller als am Tag vor Sylvester im Kaufland um die Ecke. Bis zur Straße stehen sich die lieben Menschen in den Schuhen. Doctor Pichelstein macht eine für zukünftige Wirte-Booker der Konzerttour 2016 ganz entscheidende Entdeckung: Je schneller er spielt, umso schneller wird im Publikum getrunken. Ein Schnaps auf E-Dur7, ein Wein auf cis-Moll6. Man solidarisiert sich. Sehr gut! Beim „Jägerlatein“ rast er Doctor Makarios im Sprintspurt davon. Makarios muss aufgeben, zündet sich erst mal eine Zigarette an und Pichelstein singt allein weiter. Lange nicht dargebotenes Liedgut kommt zu Gehör. Die Ballade vom „Gelben Schnaps“ etwa oder eine „Bebende Brust“. Im Zugabeblock bleiben kaum Wünsche offen, doch nach der vierten Schnapsbar muss es genügen. Die Doctoren liegen sich in den Armen und hätten sich auch in Schlamm wälzen können vor Glück. Doch es regnet glücklicherweise heute nur Beifall, tosenden Beifall und dann regnet es bis früh in den Morgen lange in durstige Kehlen hinein. Danke, danke, danke.
