Im Wald (320)


Große Teile Struppens liegen mitten im Wald, im doppelten Specksteingürtel von Dresden, somit im einfachen Specksteingürtel von Pirna. Und überall wachsen Walderdbeeren. Ständig wartet man, dass eine ausrangierte Straßenbahn um die Ecke kommt und muss dabei an Pratajev denken. Doch statt einer Straßenbahn gibt es glücklicherweise anderweitiges zu bewundern. Die Betonung liegt auf „weit“, denn im Wald ist immer alles sehr weit, was die Waldbewohner indes völlig anders sehen. Im Wald ist es also ein bisschen wie in Berlin. Auch dort sagen immer alle: „Ist gleich um die Ecke“ und dann hat man nach einer Stunde Blasen an den Fußen, das Ziel immer noch nicht erreicht und bereits drei Döner gegessen.

 

Dennoch ist die Schönheit Struppens nicht zu leugnen. Vor allem, wenn das Augenmerk auf ein idyllisches Privatgrundstück fällt, auf dem die Russian Doctors heute konzertieren dürfen. Justament waren nämlich die Reifeprüfungen der zukünftigen sächsischen Landeseliten vorbei, schon wird ein derart heiliges Sujet mit Pratajevs Erben befeiert, begangen und das ist mit Sicherheit auch richtig so. Wenn nicht gar richtungsweisend fürs weitere Leben! Drum danken The Russian Doctors bereits an dieser Stelle all den herausragenden Gastgebern, den Lecker-Produzenten feinster Tellerfüllungen, Familien und Freunden, einem emsigen Techniker ohne Lötkolben, dem kein gesundes Mikro etwas vormachen kann. Den Lötkolben könnte man aber gerne zu Weihnachten schenken. Das hat noch keinem Waldbewohner geschadet. Die beiden Reifeprüfungsdamen JB & KB bewundern derweil jüngst noch gefüllte Geschenketüten. Denn, soviel muss stets verraten werden: wer die Doctors zu sich nach Hause einlädt, der wird reich beschenkt mit Schnaps, Pratajev-Schriften, Spritzbestecken und oft auch mit einem Nachdruck des Pratajev-Werkes „Die Trinkerin“ aus der Petroperbolsker Sammlung.

 

 

Fürst Fedja liegt entspannt im Stuhle, schmaucht ein Zigarellochen, als die Bühnenecke mit Leben, sprich: Sound gefüllt wird. Es gibt Brände en masse und gerne lässt man sich davon verführen. Die künftigen Landeseliten, volljährig und geimpft, nippen derweil am Whiskey, heimlich wird geraucht und gezaubert und beim Startsignal der Doctors sind alle ganz Ohr. Doctor Makarios stimmt den „Russen“ in der Gartenversion an. „Ich hab noch einen Rotarmisten im Garten“ – so hört sich das dann an. Und schon sind die Weisen Pratajevs Trumpf, schon regiert der große russische Dichter in Struppen und Umgebung. Elfen und Trolle nehmen Reißaus. Makarios tönt schwarz, dunkel, brachialvoll. Pichelstein spielt um sein Leben mit der Schnellgitarre. Eine Pause wird es nicht geben. Und das ist gut so, gut so, gut so…. wie es so schön in der Köchinnen-Ballade „1000 Nudeln (durchbohren mein Herz)“ heißt.

 

 

Der Zugabeblock setzt dem Abend die Krone auf, schon wanken die Doctors ins verehrte Publikum, setzen sich nieder. Nachhilfeunterricht in Sachen „Sächsisch lernen für Doctor Pichelstein“ steht auf dem imaginären Programm, bevor ein nicht mehr nachvollziehbarer Reigen undurchsichtiger (zuletzt eher weichzüngiger) Diskussionen unverblümt seinen Lauf nimmt. Und Lauf ist ein gutes Stichwort: Der Weg zur Pension ist weit, weit, weit. Er geht über Stock und Stein. Und weil des Nachts so wenige über Stock und Stein wandern, spart die Gemeinde Struppen an der richtigen Stelle und knipst recht früh am Tag die Wegeslampen aus. Doch wie geht es einem, der eine lange Reise tat und anschließend in ein weiches, schönes Bett fällt, versehen mit allen Annehmlichkeiten, versus Pensionsansprüchen? Er schnarcht vor Zufriedenheit und vertreibt damit die wilden Tiere vorm Fenster.